Nahost

"Das Gespenst eines großen Krieges": Was die Mobilmachung in Jemen bedeutet

Die Huthi in Jemen verkünden eine allgemeine Mobilmachung, um an der Seite der Palästinenser gegen Israel zu kämpfen, während die USA eine Koalition zur Sicherung der Schiffsroute im Roten Meer schmieden. Experten befürchten, dass sich der Konflikt im Nahen Osten zu einem Regionalkrieg auswachsen könnte.
"Das Gespenst eines großen Krieges": Was die Mobilmachung in Jemen bedeutetQuelle: Gettyimages.ru © Mohammed Hamoud

Von Alexander Karpow, Jekaterina Kiiko und Wladimir Dujun

Im Norden Jemens, der von den Huthi, also der Bewegung "Ansar Allah" ("Helfer Gottes") kontrolliert wird, ist eine allgemeine Mobilmachung zur Vorbereitung von Kämpfern für eine mögliche Teilnahme am palästinensisch-israelischen Konflikt ausgerufen worden, erklärte das Mitglied des Politbüros der Bewegung Chusam al-Assad.

"Was die allgemeine Volksmobilmachung zur Unterstützung unseres Volks angeht, wurde sie in allen Provinzen begonnen. Es wurden Trainingslager eingerichtet, Zehntausende junger Menschen meldeten sich freiwillig, um das Militärhandwerk zu erlernen, einige Gruppen absolvierten schon ihre Ausbildung in mehreren Provinzen von Jemen", zitiert ihn die Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Nach al-Assads Angaben werden die Kämpfer am Konflikt teilnehmen, "wenn es Bedingungen und Möglichkeiten gibt, um den Gazastreifen zu erreichen und an Kampfhandlungen teilzunehmen".

Krieg zur See

Ende November hatten die Huthi angekündigt, dass sie Kriegshandlungen gegen Israel zur Unterstützung der Palästinenser beginnen werden. Damals feuerten sie mehrere Drohnen und Marschflugkörper gegen Israel ab.

Vertreter von "Ansar Allah" äußerten auch Drohungen gegen die USA, die Tel Aviv unterstützen. Später kündigten die Rebellen an, alle Schiffe im Roten Meer anzugreifen, die mit Israel in Verbindung stehen. Ihre Aktionen bezeichneten sie als Reaktion auf die "israelisch-[US-]amerikanische Aggression" im Gazastreifen.

Nach der Ankündigung der Mobilmachung bekräftigten Vertreter der Bewegung ihre Drohungen gegenüber den USA und verkündeten ihre Bereitschaft, auch US-Schiffe anzugreifen, falls sie sich in die internen Angelegenheiten des Landes einmischen oder Jemen angreifen würden.

"Wir werden [US-]amerikanische Schiffe zu einer Zielscheibe für unsere Raketen machen, und wir müssen uns nicht vor dieser Bedrohung fürchten", erklärte der Anführer der Bewegung Malik al-Huthi.

Von Jemens Gebiet aus wurden mehrere Schiffe im Roten Meer angegriffen, einige davon wurden gekapert.

Kriegsschiffe, die zu Israels Unterstützung gemeinsam mit US-Trägerkampfgruppen in der Region eintrafen, fingen ihrerseits mehrmals Drohnen und Marschflugkörper ab, die von Jemen aus abgefeuert worden waren.

Wegen andauernder Angriffe und des Kaperns von Schiffen durch die Huthi stellte MAERSK, eines der weltgrößten Logistikunternehmen, seine Transporte durch das Rote Meer ein. Seinem Beispiel folgten bereits mehrere weitere Unternehmen, darunter der Öl- und Gasgigant BP.

Als Reaktion auf die Aktionen der Huthi gaben die USA am 18. Dezember den Beginn der "Operation Prosperity Guardian" bekannt.

"Die in jüngster Zeit zu beobachtende Eskalation von sinnlosen Angriffen der Huthi aus Jemen bedroht die Freiheit von Handelswegen, bringt unschuldige Seeleute in Lebensgefahr und widerspricht dem Völkerrecht. Das Rote Meer ist eine der wichtigsten Handelsrouten, ohne die die Freiheit der Seefahrt undenkbar ist, sowie ein großer kommerzieller Korridor, der den Welthandel ermöglicht. Es ist eine Herausforderung im internationalen Maßstab, die gemeinsame Aktionen erfordert", heißt es in einer vom Pentagon veröffentlichten Erklärung des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin.

Zur Durchführung dieser Operation rekrutierten die USA eine internationale Koalition. Dieser schlossen sich Großbritannien, Bahrain, Kanada, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Seychellen und Spanien an.

Bemerkenswerterweise wurden in der Erklärung aus dem Pentagon keine konkreten militärischen Ziele angegeben, die diese Koalition erreichen sollte. Dabei gab der Kommunikationsdirektor des US-Sicherheitsrats John Kirby während einer Pressekonferenz bekannt, dass die Koalitionskräfte keine Zivilschiffe über das Rote Meer eskortieren werden.

"Man sollte hier keine Parallelen zur Vereinigung von Flotten während des Zweiten Weltkriegs ziehen. Diese Schiffe werden als Elemente eines Verbands im Rahmen einer Sondergruppe agieren. Allerdings wird ihre Stationierung im Roten Meer zur Präsenz von Handelsschiffen und der von Jemen ausgehenden Bedrohung proportional sein", sagte Kirby.

Allerdings wich der US-Beamte der Frage aus, warum Saudi-Arabien und die Vereinigen Arabischen Emirate, die zuvor gegen die Huthi im Jemen gekämpft hatten, nicht an der "Operation Prosperity Guardian" teilnehmen werden.

Neue Geografie des Konflikts

Die Erklärung der Huthi, ihre Kämpfer nach Gaza schicken zu wollen, zeugt davon, dass sich die Grenzen des israelisch-palästinensischen Konflikts ausweiten, erklärte Andrei Koschkin, der Lehrstuhlinhaber für politische Analyse und sozialpsychologische Prozesse der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität, in einem Gespräch mit RT.

"Die Huthi wollten auch schon eher aktiv am Konflikt teilnehmen, doch die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien ließen sie nicht durch ihr Territorium passieren. Daraufhin begannen sie, Raketen und Drohnen abzufeuern und Frachtschiffe anzugreifen. Nach einem Monat begannen die USA ihren Militäreinsatz, doch Jemen greift auch weiterhin alle Schiffe in der Nähe an. Jetzt sehen wir, wie sich der Konflikt zwischen Palästina und Israel geografisch auszudehnen beginnt und neue Teilnehmer erfasst", erklärte der Analyst.

Offensichtlich bereite den USA diese Lage Sorgen, allerdings sei unklar, wie sie und ihre Verbündeten die Huthi zu neutralisieren beabsichtigen, fügte Koschkin hinzu.

"Eine Sicherung von zivilen Frachtschiffen allein ist ineffektiv. Eine Bodenoperation ist notwendig, doch es ist unwahrscheinlich, dass sich die USA dazu entschließen", erklärte der Experte.

Die Biden-Administration könne gegenwärtig die militärische Finanzierung der Ukraine und Israels nicht bewilligen, während die Entwicklung in Jemen außergewöhnlich sei und es gar keine Mittel für eine Bodenoperation gebe.

"Andere Teilnehmer der Koalition werden sich ebenfalls kaum solche Kosten aufbürden wollen", meinte der Politologe.

Dabei beeinträchtige die Lage im Roten Meer inzwischen direkt den westlichen Wohlstand, betonte er:

"Die Öl- und Gaspreise sind stark angestiegen, weil Schiffe, die sie transportieren, nun auf ihrem Weg nach Europa ganz Afrika umfahren müssen", merkte er dazu an.

Jelena Suponina, eine Kennerin des Nahen Ostens und Expertin des Russischen Rats für internationale Angelegenheiten, vermutete ihrerseits in einem Gespräch mit RT, "Ansar Allah" werde wohl kaum am palästinensisch-israelischen Konflikt unmittelbar an der Frontlinie teilnehmen können.

"Die Huthi machen diese Ankündigungen eher für den internen Gebrauch sowie zur Festigung ihrer regionalen Kontakte. Eine physische Möglichkeit, ihre Kämpfer in den Gazastreifen zu schicken, haben sie nicht. Dieser Teil des palästinensischen Gebiets ist gegenwärtig völlig von Israel blockiert, ein Einmarsch aus Ägypten scheint auch nicht möglich zu sein. Das Beste, was die Huthi können, sind Raketenangriffe. Doch die symbolische Bedeutung der Solidarität mit den Palästinensern ist zweifellos sehr groß", erklärte Suponina.

Nach Meinung des Militärexperten Iwan Konowalow zeugt die von den Huthi verkündete Mobilmachung – und ebenso der Beginn der Seeoperation der USA – von einer Eskalation der Lage im Nahen Osten sowie davon, dass derzeit keine Deeskalation in Aussicht ist.

"In vielerlei Hinsicht ist das dadurch bedingt, dass die Seiten keine Berührungspunkte finden können, während ihre Verbündeten es nicht einmal versuchen. Die Seiten sind unversöhnlich, und um Verhandlungen zu erwirken, wären sehr ernsthafte Anstrengungen nötig. Möglichkeiten dazu gibt es, aber es ist unabdingbar, dass auch andere neben Russland darauf bestehen. Doch die USA tun weiterhin ihr Möglichstes, damit der Konflikt kein Ende findet", sagte der Experte.

Konowalow äußerte auch seine Zweifel daran, dass die USA die Huthi mit militärischen Mitteln würden beeinflussen können:

"Der Krieg in Jemen tobt seit Langem. Er wird von einer Koalition mit Saudi-Arabien an der Spitze geführt, und in diesem Rahmen werden die Huthi regelmäßig angegriffen. Dies brachte keine Änderungen, was somit die Frage aufwirft: Wie sollen die Angriffe der USA die Lage ändern können?"

Jelena Suponina ist der Ansicht, dass die Gefahr eines großen Konflikts in der Region weiterhin besteht.

"Jetzt traten alle ein wenig vom Abgrund zurück, hinter dem ein großer regionaler Krieg droht, aber nicht genügend weit weg. Im Oktober war der Konflikt in seiner gefährlichsten Phase. Die neue Spirale der Eskalation, diesmal im Zusammenhang mit den Huthi, führt uns wieder näher an diesen Abgrund heran. Das Gespenst eines großen Krieges zwischen Iran einerseits und Israel, den USA und deren Verbündeten andererseits wird in nächster Zukunft weiter umgehen. Die Lage ist ziemlich ernst, doch eine Chance, die schlimmsten Folgen zu vermeiden, ist noch gegeben", schlussfolgerte die Gesprächspartnerin gegenüber RT.

Übersetzt aus dem Russischen

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