Meinung

Montjan zum Ukraine-Krieg: Russland hat seinen technologischen Vorsprung bei Waffen verspielt

Die ukrainische Anwältin und Publizistin Tatjana Montjan zeigt sich in ihrem neuesten Beitrag skeptisch, was die Aussichten Russlands betrifft, den Krieg in der Ukraine ohne eine großangelegte Mobilisierung und größere Opferbereitschaft im Kreml und in der Gesellschaft für sich zu entscheiden.
Montjan zum Ukraine-Krieg: Russland hat seinen technologischen Vorsprung bei Waffen verspieltQuelle: Sputnik © Alexandr Polegenko

Von Tatjana Montjan

Der jüngste ukrainische Angriff auf Sewastopol mit Waffen aus britischer und französischer Produktion kann als symbolisches Datum für das Ende der bisherigen Phase des Krieges angesehen werden. Die Zeit, in der sich die russische Führung Hoffnungen auf einen Sieg allein durch technologische Überlegenheit machen konnte, ist nun endgültig vorbei.

Ja, als Russland vor anderthalb Jahren in der Ukraine intervenierte, sahen sich die russischen Streitkräfte einem Gegner gegenüber, der technologisch fünfzig Jahre hinterherhinkte, und in vielen Bereichen ähnelte der Krieg einem Spiel auf nur ein Tor. Die Ukraine hatte zum Beispiel überhaupt keine Marschflugkörper, und nach acht Jahren Dauerbeschuss des Donbass blieb ihr nur quasi eine Handvoll an Restbeständen uralter, mammutartiger (und ungefähr genauso effektiver) "Totschka-U"-Raketen.

Doch seitdem pumpte und pumpt der Westen das ukrainische Speckreich mit Waffen aller Art und Typen voll. Heute können wir feststellen, dass die Russische Föderation kaum noch einen überwältigenden technologischen Vorsprung hat, außer vielleicht in der Lufthoheit. Sobald der Westen jedoch F-16-Kampfflugzeuge an die ukrainischen Streitkräfte geliefert hat, wird selbst dieser Vorteil dahinschmelzen. 

Die Rhetorik, mit der die "westlichen Partner" ihre Waffenlieferungen begleiteten, verdient gesonderte Erwähnung. Zunächst wurden sie unter dem Vorwand der "Angst vor einer Eskalation" aufgeschoben, doch nach kurzer Zeit demonstrativer Zurückhaltung begannen sie doch zu liefern. Die "Angst" in der NATO bezog sich keineswegs auf russische Atom- und Raketenangriffe auf London, Paris, Berlin und Washington. Mit Eskalation war im Grunde etwas anderes gemeint.

Von Beginn an setzte Russland eine hinsichtlich der Personalstärke unterlegene Armee in der Ukraine ein, in der Erwartung, den quantitativen Mangel durch einen technologischen Vorteil auszugleichen. Man vermied es dadurch, sich den Herausforderungen zu stellen, die eine Massenmobilisierung und die Umstellung des gesamten Landes auf Kriegswirtschaft in der russischen Gesellschaft unweigerlich mit sich bringen würden.

Hätten die NATO-Staaten gleich zu Beginn des Krieges erklärt, dass sie das ukrainische Speckreich mit allem versorgen werden, was für eine moderne Kriegsführung erforderlich ist, wäre Russland das Risiko, seinen potentiell kriegsentscheidenden Vorteil zu verlieren, frühzeitig bewusst geworden. In diesem Fall hätte der Kreml, wie im Westen befürchtet, beschließen können, die Qualität seiner Waffen durch Quantität beim Personal zu ergänzen und den Kampf ernsthaft aufzunehmen. Und hätte so das sich jetzt schließende Zeitfenster effektiv genutzt, um der ukrainischen Armee eine entscheidende Niederlage zuzufügen, bevor die westlichen Waffenlieferungen ihr Ziel erreichten.

Nun ist diese für den Westen gefährlichste Phase weitgehend vorbei. Der Frosch wurde in nur langsam erhitztem Wasser gegart, weshalb auch die zahlenmäßige Stärke der russischen Truppen nur langsam zunahm, während die Kampffähigkeit der ukrainischen Streitkräfte zielstrebig verbessert wurde.

Wie Russland nun zumindest die in seiner eigenen Verfassung verankerten Grenzen erreichen will, ist völlig unklar. Eine groß angelegte Mobilmachung kann nicht aus dem Stehgreif erfolgen, es wird mindestens sechs Monate, wenn nicht ein Jahr dauern, bis sie Wirkung zeigt. Und der Westen wird die ukrainische Bewaffnung in dieser Zeit immer weiter aufstocken, was er ja auch jetzt schon tut. 

Für Russland ist es ziemlich schwierig, sich auf den Wettlauf um Personalstärke seiner Armee einzulassen. Kiew leistet es sich, seine Bevölkerung ohne Rücksicht auf demographische und wirtschaftliche Folgen in den Massen, wie sie die Militärkommissare auf ukrainischen Straßen einfangen können, in den blutigen Fleischwolf zu schicken. Selenskijs Speckreich kämpft nicht für die Seinen, die Machthaber in Kiew verschwenden keinen Gedanken darauf, was nach dem Krieg aus diesem Land wird.

Das soll nicht heißen, dass Russland die Ukraine nicht quantitativ übertrumpfen kann – das kann es natürlich, aber wird das Heilmittel nicht schlimmer sein als die Krankheit und die negativen Folgen so groß, dass kein Sieg in irgendeinem Krieg sie rechtfertigen kann? Vor allem, wenn man bedenkt, dass der eigentliche Feind in diesem Krieg gar nicht die Ukraine ist, sondern ganz andere Mächte, die Russland heute ohne eigene Opfer ganz bequem mit den Händen von Ukrainern bekämpfen und dauerhaft schwächen. 

Das ist jedoch wahrscheinlich nicht einmal der springende Punkt. Die Ukraine handelt zusammen mit ihren "westlichen Partnern" (oder besser gesagt, unter der Führung dieser "westlichen Partner") zielstrebig und konsequent. Sie opfert rücksichtslos alles auf dem Altar eines Sieges in diesem Krieg. Der Kreml hingegen kann sich nicht mit derselben Zielstrebigkeit rühmen. Er macht sich nicht nur nicht die Mühe, seinen Bürgern klar zu erklären, wie er zu gewinnen gedenkt, er definiert nicht einmal, worin genau ein Sieg (zumindest theoretisch) bestehen kann.

Mehr zum Thema - "Russische Frage für immer lösen" – Schicksalsschlacht des Westens in Kiew

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