Meinung

Washington schweigt über die Hungerkrise in Niger, sorgt sich aber um dessen Ex-Präsidenten

Die Sanktionen der ECOWAS lassen die Bevölkerung Nigers hungern, während sich die USA lediglich um die Gesundheit des abgesetzten Präsidenten sorgen. Washington lässt üblicherweise keine Gelegenheit aus, die Optik einer humanitären Krise auszunutzen, doch dieses Mal schweigt man auffällig.
Washington schweigt über die Hungerkrise in Niger, sorgt sich aber um dessen Ex-PräsidentenQuelle: AFP

Von Andrew Korybko

Der Sprecher der vom Militär geführten nigrischen Übergangsregierung, Oberst Major Amadou Abdramane, sagte am vergangenen Sonntag, dass seine Landsleute "von den illegalen, unmenschlichen und demütigenden Sanktionen der ECOWAS hart getroffen werden" und fügte hinzu, dass "den Menschen Medikamente, Lebensmittel und Strom vorenthalten werden". Inmitten dieser humanitären Krise in Niger, äußerte Außenminister Antony Blinken "große Besorgnis" über die "sich verschlechternden Bedingungen für Präsident Mohamed Bazoum und seine Familie", wie er es nannte.

Der Spitzendiplomat der USA verschwendete kein einziges Wort an die rund 25 Millionen Menschen in Niger, die derzeit enorm leiden müssen und fokussierte stattdessen ausschließlich auf die Gesundheit des sich im Hausarrest befindenden Verbündeten Washingtons. Die Mainstream-Medien folgten seinem Beispiel und beschäftigten sich wie besessen mit den jüngsten Berichten, wonach Bazoum "gezwungen werde, trockenen Reis und Nudeln zu essen", während sie die Notlage der Menschen in Niger völlig ignorierten. Diesem Ansatz liegen wohl Hintergedanken zugrunde, die im Laufe dieser Analyse erläutert werden.

Die Kollektivstrafe, die der Westen mithilfe der Staaten der ECOWAS gegen das durchschnittliche Volk von Niger verhängt hat, soll sie dazu bringen, gegen die neue, vom Militär geführte Übergangsregierung zu rebellieren, in Erwartung, dass damit die Sanktionen gelockert werden. Oder simpler ausgedrückt: 25 Millionen Menschen werden aus rein politischen Gründen als Geiseln gehalten. Das wäre jedoch nicht passiert, wenn das regionale Schwergewicht Nigeria nicht mitgemacht hätte.

Keines von Nigerias nationalen Interessen wird durch eine Invasion des Niger bedient, und auch nicht durch Sanktionen gegen Niger. Tatsächlich hat Nigeria seine eigenen objektiven nationalen Interessen rücksichtslos gefährdet, indem es die Handels- und Finanzbeziehungen zu seinem nördlichen Nachbarn abgebrochen hat. Auf einen Schlag zerstörte es den jahrzehntelangen guten Willen Nigers, was die Gefahr birgt, die freundlich gesinnten Menschen dieses Landes gegen sich aufzubringen. Unabhängig davon, wie diese Krise gelöst wird, werden die bilateralen Beziehungen zwischen Nigeria und Niger wahrscheinlich nie wieder so sein wie zuvor.

Darüber hinaus könnten diese Sanktionen auch innerhalb Nigerias zu Unmut in den nördlichen Grenzgemeinden führen, deren Familien und Freunde in Niger jetzt leiden müssen. So wie die Sanktionen die Menschen in Niger dazu bringen sollen, aus Verzweiflung zu rebellieren, so könnten diese für Nigeria auch nach hinten losgehen, indem sie die Nigerianer dazu bringen, gegen die Sanktionen zu verstoßen und Medikamente und Lebensmittel über die Grenze zu ihren Freunden und Verwandten zu schmuggeln. Wenn das Militär anschließend zu gewaltsamen und möglicherweise sogar tödlichen Maßnahmen greifen sollte, um dies zu unterbinden, könnte dies zu Unruhen innerhalb Nigerias oder zu noch Schlimmerem führen.

Nigeria ist seit dem Zusammenschluss zweier zuvor getrennter britischer Kolonien, in den Jahrzehnten vor der Unabhängigkeit, weitgehend zwischen dem mehrheitlich muslimischen Norden und dem mehrheitlich christlichen Süden gespalten. Diese Unterschiede führten zur Bildung sehr unterschiedlicher regionaler Identitäten, die gelegentlich eine Bedrohung für die Einheit des Landes darstellten. Im gegenwärtigen Kontext, könnte eine tatsächliche oder empfundene Gängelung nördlicher Grenzgemeinschaften, bei der Bekämpfung des Schmuggels durch das Militär, diese Spannungen wieder aufleben lassen.

Wenn sich die humanitäre Lage in Niger weiter verschlechtert, könnte der daraus resultierende Zustrom von Flüchtlingen in den Norden von Nigeria ebenfalls zu ähnlichen Problemen führen, wenn diesen Menschen die Einreise in das Land nicht gestattet wird oder wenn die Zentralregierung die Geflüchteten nicht ordnungsgemäß versorgt. Des Weiteren könnten Unruhen unter den Nigerianern selbst ausbrechen, die ihre Freunde und Verwandten aus Niger aufnehmen möchten, während Unruhen auch ausbrechen könnten, wenn verzweifelte Flüchtlinge in die Kriminalität abgleiten und/oder den Einheimischen Lohn und Brot wegnehmen.

Nigeria kämpft bereits darum, die Sicherheit im Nordosten des Landes gegen die terroristische Gruppierung Boko Haram und im Südosten gegen Separatisten zu verteidigen, die von Nigeria als Terroristen betrachtet werden. Sollte das nigerianische Grenzgebiet gemäß einem der oben beschriebenen Szenarien in eine Krise geraten, könnte dies die Streitkräfte noch mehr spalten und sich als katastrophal für die nationale Einheit erweisen. Es liegt daher im nationalen Interesse Nigerias, dass sich die Lage in Niger so schnell wie möglich stabilisiert.

Das Wissen um diese Notwendigkeit erklärt, warum das Gremium der Senatoren der nördlichen Gliedstaaten sich so vehement dagegen aussprach, dass Nigeria eine von der NATO – und möglicherweise von Frankreich – unterstützte Invasion in den Niger anführen sollte. Der Sprecher des Gremiums, Senator Suleiman Kawu, warnte: "Wir lehnen die Anwendung militärischer Gewalt so lange ab, bis alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, weil als Folge sonst unschuldige Bürger zu Opfern werden könnten."

Er fügte hinzu, dass "etwa sieben nördliche Staaten, die an die Republik Niger grenzen, nämlich Sokoto, Kebbi, Katsina, Zamfara, Jigawa, Yobe und Borno, von einem militärischen Eingreifen in Niger negativ betroffen sein würden". Diese zweite Bemerkung ist für den Fall, dass die Sanktionen bestehen bleiben, genauso relevant wie für den Fall, dass Nigeria in Niger einmarschiert. Wenn sich die humanitäre Lage in Niger weiter verschlechtert, ist es unvermeidlich, dass der nördliche Teil des Nigers "negativ betroffen sein wird".

Vor diesem Hintergrund fragt man sich natürlich, ob die USA Hintergedanken hegen, wenn sie Nigeria dazu ermutigen, die Sanktionen gegen Niger beizubehalten, ganz zu schweigen von einer möglichen Invasion des Landes. Beides dient nicht den Interessen des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas und beides ist in Wahrheit gegen Nigeria selbst gerichtet, wie in dieser Analyse dargelegt wurde. Aus diesen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die USA Nigeria dahin gehend manipulieren, um die Saat einer weiteren Krise im Inneren zu säen, um das Land zu spalten und effektiver zu kontrollieren.

Der alleinige Fokus von Antony Blinken auf den Gesundheitszustand von Mohamed Bazoum und nicht auf die Gesundheit von dessen 25 Millionen Landsleuten, denen die USA unter anderen Umständen zumindest oberflächliche Aufmerksamkeit schenken würden, legt nahe, dass die oben genannten Vermutungen berechtigt sind. Niger war bereits vor den Sanktionen das drittärmste Land der Welt, weshalb das Land sehr schnell abrutschen könnte. Dies würde zu einem großen Abwandern in den Norden Nigerias führen, was die Gefahr birgt, die hier beschriebenen Sicherheitskrisen auszulösen.

Washington lässt üblicherweise keine Gelegenheit aus, die Optik einer humanitären Krise auszunutzen, doch dieses Mal schweigt man auffällig über die jüngste Krise, die es selbst angezettelt hat, ebenso wie die Mainstream-Medien. Dieser Ansatz steht im Widerspruch zu Fällen in der Vergangenheit und stärkt somit die Glaubwürdigkeit der Spekulation, dass die USA in dieser Region mit Hintergedanken agieren.

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Aus dem in Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.

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