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Türkei blockiert NATO-Schiffe für Kiew und sitzt dabei standhaft auf zwei Stühlen

Die neue multipolare Weltordnung nimmt immer sichtbarere Züge an. Länder der ganzen Welt lassen das überholte Blockdenken fallen und versuchen, den Nutzen für ihre Völker zu maximieren. Auch die Türkei ist dabei keine Ausnahme.
Türkei blockiert NATO-Schiffe für Kiew und sitzt dabei standhaft auf zwei Stühlen© AP Photo/Oded Balilty

Von Kirill Strelnikow

Das vergangene Jahr war ein Beispiel für den unumkehrbaren Wandel der gesamten globalen Weltordnung. Diese etablierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde dann unter den fliegenden Fahnen der Weltdemokratie gestaltet, was in Wirklichkeit bedeutete, dass man gezwungen war, sich den Interessen des selbst ernannten Welthegemonen – den Vereinigten Staaten von Amerika – und seiner Satelliten zu unterwerfen.

Die aktuellen Veränderungen waren längst überfällig. Der Anstoß zu ihrer Beschleunigung und radikalen Ausweitung war der Beginn der militärischen Sonderoperation, die Russlands Antwort auf das Ultimatum des Westens und dessen Angebot zur Zerlegung unseres Staates gewesen ist. Russland hat der ganzen Welt gezeigt, dass intelligentes Leben außerhalb des vom "Hegemonen" gnädig definierten Mikrouniversums nicht nur möglich ist, sondern sich sogar rapide ausweiten kann.

Jeden Tag sehen wir mehr und mehr Beispiele dafür, wie verschiedene Staaten beginnen, eine zuvor völlig unvorstellbare Politik zu verfolgen, die einige als das gleichzeitige Sitzen auf zwei, drei oder vielen Stühlen bezeichnen. Andere sehen es einfach als den Wunsch, den Nutzen für ihr Land und ihr Volk zu maximieren.

Ein gutes Beispiel ist die Türkei.

Am Mittwoch hat eines der militärisch größten NATO-Länder (einer Russland gelinde gesagt nicht wohlgesonnenen Organisation) angekündigt, dass es während des Konflikts in der Ukraine Minenräumboote, die der Ukraine von einem anderen prominenten NATO-Mitglied, dem Vereinigten Königreich, gespendet wurden, nicht durch den Bosporus ins Schwarze Meer fahren lassen wird.

Ein Grund zum Feiern? Schauen wir genauer hin.

Während die Türkei dem NATO-Mitglied Großbritannien in den Rücken fällt, hat sie gleichzeitig alle Hände voll zu tun, eine neue NATO-Logistikroute von Rumänien über Bulgarien und Griechenland in die Türkei zu bauen, die den schnellen Transport von Munition und militärischer Ausrüstung aus dem Mittelmeerraum entlang der Schwarzmeerküste ermöglichen soll – natürlich nicht zur Freude Russlands.

Ist Ihnen der Wunsch zum Feiern vergangen? Warten Sie mal.

Vor zwei Tagen wurde berichtet, dass die erste Lieferung von Hühnereiern aus der Türkei in Russland eingetroffen ist, was die vorübergehenden Schwierigkeiten des Landes mit diesem empfindlichen Lebensmittel lindern soll. Und nicht nur das: Die Einfuhrzölle auf Eier wurden auf null gesenkt, und es gibt 21 weitere türkische Unternehmen, die sich freuen würden, unser Eierproblem zu lösen.

Doch warten Sie, bevor Sie den Türken danken. Neulich hat ein Ausschuss des türkischen Parlaments ein Protokoll über Schwedens NATO-Mitgliedschaft gebilligt, das der Generalversammlung des Landes zur Prüfung vorgelegt worden war.

Gleichzeitig mit diesem eindeutig feindseligen Schritt bestätigte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan enthusiastisch die Pläne Russlands und der Türkei, auf türkischem Territorium einen großen Gasknotenpunkt zu schaffen, der die gesamte Gaslogistik in Europa verändern könnte (zum Vorteil Russlands und der Türkei).

Parallel dazu hat die Türkei vor Kurzem Frieden mit Griechenland geschlossen, um ihre Chancen auf einen Beitritt zur EU zu verbessern, die zu einem Vorposten der Russophobie, der antirussischen Sanktionen und der direkten Militärhilfe für die Ukraine geworden ist.

Gleichzeitig erreichte der russische Handelsumsatz mit der Türkei im vergangenen Jahr einen Rekordwert von 60 Milliarden US-Dollar, und es gibt Pläne, diesen Wert um ein Vielfaches zu steigern.

Vor dem Hintergrund des Rekordwachstums des Handelsumsatzes forderte Erdoğan auf dem letzten NATO-Gipfel jedoch die Aufnahme der Ukraine in das Bündnis, was selbst US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz nur zögerlich taten. Erdoğan entließ persönlich Kämpfer der Nazi-Brigade Asow in die Ukraine, obwohl er versprach, dass sie bis zum Ende des Konflikts in seinem Land bleiben würden. Die türkischen Waffenlieferungen an die Ukraine gehen weiter und werden auch in Zukunft nicht aufhören.

Trotzdem baut Rosatom in der Türkei ein Atomkraftwerk und entwickelt in rasantem Tempo große Energieprojekte. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte:

"Die Partnerschaft zwischen Russland und der Republik Türkei befindet sich auf einem hohen Niveau, das auf einer langjährigen effektiven Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen beruht, und beide Seiten sind entschlossen, die Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien der guten Nachbarschaft, der Partnerschaft und des gegenseitigen Nutzens weiter auszubauen."

Erdoğan seinerseits nannte Putin einen "lieben Freund" und soll vor Rührung sogar eine Träne vergossen haben.

Die Türkei reicht Ihnen als Beispiel nicht aus? Schauen wir auf Saudi-Arabien, das in den 90er-Jahren Terroristen im Nordkaukasus unterstützte, Oppositionskämpfer in Syrien bewaffnete und ausbildete, die auch Militäroperationen gegen die russischen Streitkräfte durchführten, vor nicht allzu langer Zeit Russlands "Invasion" in der Ukraine in der UNO verurteilte, sogar einen Gipfel zur Ukraine organisierte und den ukrainischen Machthaber Wladimir Selenskij einlud.

Heute ist Saudi-Arabien ein neues Mitglied der BRICS und einer der Hauptabnehmer russischer Waffen und Lebensmittel. Saudi-Arabien steht an der Seite Russlands, wenn es darum geht, westliche Länder mit der OPEC+ niederzuhalten. Das Königreich hat auf dem letzten COP28-Klimagipfel kategorisch seine Unterstützung für die Initiative des Westens zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen (was auch im Interesse Russlands liegt) verweigert. Außerdem hat das saudische Bildungsministerium seine Bereitschaft bekundet, sich an der Entwicklung des islamischen Bildungswesens in Russland zu beteiligen. Während des jüngsten Besuchs unseres Präsidenten in Saudi-Arabien wurden ihm wahrhaft königliche Ehren zuteil, was im Westen für starke Magenverstimmungen sorgte. Putin unterstrich, dass die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in den letzten sieben Jahren "ein nie zuvor gesehenes Niveau" erreicht hätten.

Warten Sie mit dem Anruf Ihres persönlichen Psychoanalytikers und hören Sie sich an, was der türkische Finanzminister Mehmet Şimşek erklärte:

"Die alte Welt ist vorbei! Die Regeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt wurden, gelten nicht mehr."

Übersetzt bedeutet dies, dass anstelle des archaischen und giftigen Blockdenkens der Vereinigten Staaten und ihrer Vasallen, gegen das sich auch der russische Präsident öffentlich ausgesprochen hat, ein anderes (wenn auch in mancher Hinsicht noch unvollkommenes) Modell der Weltordnung in den Vordergrund tritt, bei dem die eindimensionale Logik durch eine neue Logik ersetzt wird. Und diese klingt wie folgt:

"Wir sind bereit für jede Entwicklung der Ereignisse – bereit, Freunde zu sein oder zu kämpfen. Suchen Sie sich etwas aus. Wir zwingen Sie nicht, irgendetwas zu schwören oder einen Eid abzulegen. Wir tun gemeinsam nur das, was für alle von Vorteil ist. Unsere Türen sind offen."

Und ein kleines Postskriptum: "Aber die Hauptsache ist, dass es Russland nützt."

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 5. Januar 2024.

Kirill Strelnikow ist ein russischer freiberuflicher Werbetext-Coach und politischer Beobachter sowie Experte und Berater der russischen Fernsehsender NTV, Ren-TV und Swesda.

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