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Kommt ein "Marsch auf Kiew"? Saluschny beschuldigt Selenskij

Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten der Ukraine und dem Oberbefehlshaber des ukrainischen Militärs spitzt sich zu. Saluschny wirft Selenskij de facto Lügen vor. Dabei versuchen beide, dem Gegenüber die Verantwortung für Niederlagen und unpopuläre Entscheidungen aufzubürden.
Kommt ein "Marsch auf Kiew"? Saluschny beschuldigt SelenskijQuelle: AFP © Pressedienst des ukrainischen Präsidialamts

Von Wiktor Schdanow und Michail Katkow

Der Konflikt setzt sich fort

Während der jüngsten Pressekonferenz von Selenskij haben Journalisten versucht, herauszufinden, ob er denn nun mit Saluschny im Konflikt stehe oder nicht. "Wozu jemandem helfen, dieses Thema zu vertiefen", sagte der Präsident. Allerdings erinnerte er daran, dass für die Situation an der Front die Militärführung die Verantwortung trage.

Selenskij verzichtete auch darauf, die scharfe Kritik an Saluschny durch die Abgeordnete der Partei "Diener des Volkes", Marjana Besuglaja, zu kommentieren. Er erklärte lediglich, dass keine Zeit vorhanden wäre, um Streitereien in sozialen Netzwerken zu analysieren. Ich denke, wir müssen alle unsere täglichen Leistungen an den Staat abliefern, für Selfies wird später genug Zeit sein", fügte er hinzu. Das ist eine klare Anspielung auf den General, der seine Fotos vor dem Hintergrund der Vorwürfe der Abgeordneten veröffentlicht hatte.

Besuglaja berichtete, dass Saluschny in Philosophie promoviert hatte. Und das während eines Krieges, entrüstete sie sich. Wie sich herausstellte, habe der Philosophengeneral die Probleme der Disziplin im ukrainischen Militär studiert. "Man fühlt sich an Kiwa erinnert", fügte die Abgeordnete hinzu. Sie meinte damit einen ehemaligen ukrainischen Politiker, der von Mitarbeitern des SBU in Russland ermordet wurde.

Lügen des Präsidenten

Nach Angaben des Kiewer internationalen Instituts für Soziologie denken nur 43 Prozent der Ukrainer, dass der Präsident und der Oberbefehlshaber im Konflikt stehen. Dabei sind 72 Prozent gegen eine Entlassung Saluschnys.

Der Rada-Abgeordnete Jewgeni Schewtschenko vermutet, dass das neue Mobilmachungsgesetz die Umfragewerte von beiden abstürzen lässt. Das Präsidialamt bürdet die Verantwortung dem General auf. Jener versichert indessen, dass nicht er eine halbe Million Rekruten bestellt habe. Also habe Selenskij gelogen.

"Den Streitkräften der Ukraine und mir ist es am wichtigsten, dass Menschen zur Armee kommen und dass sie die ihnen gestellten Aufgaben erfüllen können. Zu urteilen, welche Schonfrist jemand hat und wer einberufen werden muss, liegt nicht in meiner Kompetenz", betonte der General.

Darüber hinaus sei er mit den Formulierungen des neuen Gesetzes nicht einverstanden. Beispielsweise sei es unmöglich, die Notwendigkeit einer Rotation vorauszusagen. "Gesetzlich vorzuschreiben, dass wir auf diese Weise verfahren werden, ist unter jetzigen Bedingungen unrealistisch", sagte er. Zuvor hatte Saluschny erklärt, dass Militärangehörige nur unter zwei Bedingungen entlassen werden können: wenn es für sie einen Ersatz gibt und wenn die Front stabil ist.

Die Suche nach dem Schuldigen

Andrei Rewa, Minister für Sozialpolitik der Ukraine zwischen 2016 und 2019, erklärte: 500.000 Menschen müssen wegen erfolgreicher Mobilmachung in Russland einberufen werden. Doch man müsse härter vorgehen: Wehrdienstverweigerer sollen den Zugang zu ihren Bankkonten oder gar die Staatsangehörigkeit verlieren.

Der ukrainische Rechtsanwalt Rostislaw Krawez meint, dass Flüchtlinge wegen der Mobilmachung nicht in die Heimat zurückkehren werden. Aus EU-Ländern werden sie nicht deportiert, weil dort Arbeitskräfte benötigt werden.

"Den Gesetzentwurf hat Umerows Team ausgearbeitet. Dabei ist dort sogar das Wort "Ukraine" mit einem Fehler geschrieben. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das Dokument von mehreren Gruppen vorbereitet wurde, die sich nicht miteinander berieten und überhaupt keine Ahnung haben, was eine Mobilmachung ist", betont der Jurist.

Denis Denissow, ein Experte der Finanzuniversität der Regierung Russlands, vermutet, dass Selenskij versucht, Saluschny maximal zu diskreditieren.

"Der General könnte sagen, dass es Zeit sei, mit diesem Zirkus Schluss zu machen. Und er könnte durchaus einen 'Marsch auf Kiew' organisieren. In der Hauptstadt würden sich viele darüber freuen, doch dann wird die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeit gänzlich verlieren."

Laut Denissows Meinung entscheide sich jetzt Saluschnys Schicksal. Wenn er sich alle Anfeindungen schweigend gefallen lässt, wird er nach dem Rückzug aus Awdejewka entlassen. Doch sollten seine persönlichen Ambitionen die Oberhand gewinnen, ist jedes Szenario möglich.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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