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Israel kann Hamas nicht im Kampf besiegen – Wie also soll es weitergehen?

Der Konflikt in Gaza führt zu Elend unter der Zivilbevölkerung, während Washington die Macht hätte, die Kampfhandlungen jederzeit zu beenden. Gewalt erzeugt Gewalt, Hass erzeugt Hass. Wenn die internationale Gemeinschaft zusammenkommen würde, könnte dieser Kreislauf durchbrochen werden.
Israel kann Hamas nicht im Kampf besiegen – Wie also soll es weitergehen?Quelle: AFP © AFP PHOTO/ISRAELI ARMY

Von Robert Inlakesh

Nach einer siebentägigen Kampfpause im Konflikt zwischen Israel und den bewaffneten palästinensischen Gruppen in Gaza hat Washington erneut grünes Licht für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten gegeben. Da es den USA nicht gelungen ist, ihre israelischen Verbündeten zum militärischen Sieg zu verhelfen, lassen sie eine gefährliche Eskalation zu und lehnen weiterhin eine friedliche Lösung ab, die weiteres Leid unter der Zivilbevölkerung von Gaza abwenden würde.

Nur wenige Minuten nach der Abreise von US-Außenminister Antony Blinken aus Israel wurden die Kampfhandlungen in Gaza wieder aufgenommen, wobei ein groß angelegter Luftangriff auf palästinensische zivile Infrastruktur den Tod von fast 200 Zivilisten zur Folge hatte. Der Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby, verkündete, dass Israel weiterhin "das Recht und die Verantwortung habe, gegen die Hamas vorzugehen", doch zu welchem Zweck bleibt unklar. Nachdem selbst Leute wie der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Barak einräumen, dass die Hamas noch lange nicht auseinanderfällt, stellt sich die Frage: Was ist wirklich der Sinn dieser Kampfhandlungen?

Nach einem sechswöchigen Konflikt, der bisher wahrscheinlich über 20.000 palästinensische Todesopfer gefordert hat – hauptsächlich Zivilisten –, konnte das israelische Militär keine Beweise dafür vorlegen, dass es die militärischen Fähigkeiten der Hamas und der anderen palästinensischen bewaffneten Gruppen erheblich beeinträchtigen konnte. Israel begann in der Folge in die großen Krankenhäuser im nördlichen Gazastreifen vorzudringen und behauptete dabei, dass die Hamas diese Standorte als Stützpunkte sowie als Kommando- und Kontrollzentren nutze. Die von den israelischen Verteidigungskräften (IDF) vorgelegten "Beweise" belegen diese Behauptung in keiner Weise.

Die US-Regierung stellte sich erwartungsgemäß hinter die Behauptung Israels, dass es im Al-Shifa-Krankenhaus ein Kommandozentrum der Hamas gegeben habe. Und nachdem die israelischen Streitkräfte das Krankenhausgelände eingenommen hatten, präsentierten sie Waffen, die dort angeblich gefunden wurden. Alle der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Aufnahmen solcher Operationen werden von der israelischen Armee kuratiert und entsprechend manipuliert. Wenn diese Aufnahmen anschließend überprüft werden, könnten sie als Beweis für die Präsenz militanter Kräfte gelten – allerdings nicht als Beweis für ein Kommandozentrum der Hamas. In anderen Krankenhäusern wurde indes wenig Bemerkenswertes gefunden. Die USA behaupteten zudem, über solide Informationen zu verfügen, mit denen die israelischen Behauptungen bestätigt werden. Das ist eher zweifelhaft, wenn man frühere öffentliche Äußerungen berücksichtigt, wie etwa die Worte von US-Präsident Joe Biden, der sagte, er habe "bestätigte Bilder von Terroristen gesehen, die Kinder enthaupten", was das Weiße Haus später zurücknehmen musste.

Zu Beginn dieses Konflikts kündigte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu an, dass seine Regierung "die Hamas zerschlagen" werde, ein Ziel, das die US-Regierung öffentlich unterstützt. Dennoch ist es der Hamas nicht nur gelungen, Israel den größten militärischen Schlag in seiner Geschichte zu versetzen, sondern sie hat Gaza auch vor Ort verteidigt und dabei zahllose dokumentierte Erfolge gegen die israelischen Streitkräfte erzielt. Die ganze Welt diskutiert jetzt über die Bildung eines palästinensischen Staates, eine Idee, die vor dem Konflikt zugunsten von bedingungslosen Normalisierungsabkommen zwischen arabischen Staaten und Israel nahezu aufgegeben worden war. Darüber hinaus war eine der vorhersehbaren Folgen der israelischen Aggression gegen Gaza eine enorme Zunahme der Unterstützung für die Hamas in den restlichen besetzten Gebieten. Im Nahen Osten und in der gesamten muslimischen Welt sind die Kämpfer der Hamas zu Helden geworden und werden weithin als tapferer nationaler Widerstand gepriesen.

Das saudisch-israelische Normalisierungsabkommen, das im Rahmen der Nahostpolitik der Regierung von Joe Biden aufgegleist wurde, liegt derzeit auf Eis, da Riad sich entschieden hat, sich Teheran anzunähern. Laut Daten israelischer Umfragen haben nur noch vier Prozent der Israelis Vertrauen in Benjamin Netanjahu, während der israelische Militärsprecher Daniel Hagari als vertrauenswürdigste nationale Persönlichkeit gilt. Obwohl Hagari das Vertrauen der Israelis genießt, wurde er zum Online-Meme, nachdem er ein Video gezeigt hatte, in dem er einen regulären arabischen Kalender als Einsatzplan der "Terroristen der Hamas" präsentierte. Dieser "Kalender" sollte der Beweis dafür sein, dass die Hamas im Kinderkrankenhaus von Rantisi Geiseln hielt.

Mindestens zehn Länder haben entweder ihre Botschafter aus Israel abgezogen oder ihre Beziehungen zu Israel eingefroren. All dies vor dem Hintergrund, dass die größten propalästinensischen Proteste, die jemals im Westen stattgefunden haben, weiterhin in Hauptstädten wie London und Washington stattfinden. In Kombination mit einem erheblichen Rückgang der Zustimmungswerte von Präsident Biden bedeutet dies alles eine Katastrophe für den von den USA unterstützten Konflikt in Gaza.

Das Weiße Haus behauptete, dass man der israelischen Armee bei ihrem geplanten Einmarsch in den Süden des Gazastreifens gewisse Beschränkungen auferlegt habe, bietet aber im gleichen Atemzug bedingungslose Unterstützung für Israels Vorgehen an. Zu keinem Zeitpunkt hat die US-Regierung irgendeine Verantwortung für die Ereignisse seit dem 7. Oktober übernommen. Es gab keine Entschuldigung für ihre Lügen, keinen Strategiewechsel und keine Anerkennung der Rolle, die Washington bei der Schaffung der Situation vor Ort in Gaza gespielt hat, was letztlich den Angriff der Hamas provozierte.

Die eigentliche Frage ist nun: Wohin gehen wir von diesem Punkt aus weiter? Israel kämpft strategielos in Gaza und tötet weiterhin zahllose palästinensische Zivilisten. Es gibt keine Anzeichen für eine Niederlage der Hamas, und die humanitäre Lage, die Martin Griffiths, der Unter-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten der UN, als "die schlimmste humanitäre Katastrophe aller Zeiten" bezeichnete, verschlechtert sich zusehends. Während alleine dies ernst zu nehmen ist, besteht zudem auch die Gefahr des Ausbruchs eines regionalen Kriegs, falls der israelische Angriff gegen Gaza noch weiter eskaliert. Die libanesische Hisbollah ist derzeit in regelmäßige Gefechte mit der IDF entlang der israelisch-libanesischen Grenze verwickelt und hat das Ausmaß der Angriffe auf israelische Militärziele ausgeweitet.

Der Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas bewies, dass die palästinensische Seite in der Lage ist, sich auch diplomatisch zu engagieren. Der Gefangenenaustausch diente auch dazu, der Welt zu zeigen, dass Israel ebenfalls Frauen und Kinder gefangen hält. Den von der Hamas freigelassenen israelischen Zivilisten, von denen die meisten dabei gefilmt wurden, wie sie lächelnd den Kämpfern der Hamas zum Abschied die Hand schüttelten und ihnen für ihre Freilassung dankten, wurde es untersagt, direkt mit den Medien über ihre Erfahrungen in der Geiselhaft zu sprechen. Andererseits berichteten palästinensische Frauen und Kinder von Misshandlungen, Folter und Demütigungen, die sie durch ihre israelischen Gefängniswärter erlitten haben. Dies stellte ein weiteres Debakel für die israelische Regierung und ihre Öffentlichkeitsarbeit dar, da sie nun schuldiger da steht als die Hamas.

Die US-Regierung sitzt bei diesem Konflikt mit am Steuer. Washington hätte die Macht, die Kampfhandlungen jederzeit zu beenden, verlängert aber weiterhin dieses Desaster. Während der siebentägigen Kampfpause änderte sich nichts zugunsten Israels, was einen Sieg möglich gemacht hätte. Für den bewaffneten Konflikt in Gaza kann es keine militärische Lösung geben. Die USA müssen erkennen, dass dieser Konflikt niemals enden wird, und zwar so lange nicht, bis dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit und Freiheit gewährt wird. 75 Jahre lang haben die Regierungen des kollektiven Westens das Leid des palästinensischen Volkes ignoriert und sind nie als objektive Friedensvermittler aufgetreten. 

Gewalt erzeugt Gewalt und Hass erzeugt Hass. Es ist nicht möglich, die Palästinenser einfach zu ermorden oder sie zu unterwerfen. Selbst wenn die Hamas besiegt werden sollte, werden in Zukunft weitere Gruppierungen auftauchen, um sich für ihre getöteten Brüder, Schwestern, Eltern und Kinder zu rächen und für die Eigenstaatlichkeit zu kämpfen. Wenn die internationale Gemeinschaft zusammenkommen würde, könnte dieser Kreislauf durchbrochen werden. Aber dies erfordert Mut.

Aus dem Englischen.

Robert Inlakesh ist ein politischer Analyst, Journalist und Dokumentarfilmer, der derzeit in London, Großbritannien, lebt. Er hat aus den palästinensischen Gebieten berichtet und dort gelebt und arbeitet derzeit für Quds News. Regisseur von "Diebstahl des Jahrhunderts: Trumps Palästina-Israel-Katastrophe".

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