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Scheitern der "Gegenoffensive" ändert Stimmungen der Ukrainer

Obwohl Umfragen in der Ukraine ein verzerrtes Meinungsbild zeigen, ist dennoch ein Zuwachs von Personen feststellbar, die den "Narrativen der russischen Propaganda" zustimmen. Dies hängt mit dem Scheitern der ukrainischen Offensive zusammen.
Scheitern der "Gegenoffensive" ändert Stimmungen der UkrainerQuelle: Gettyimages.ru © SOPA Images

Von Wassili Stojakin

Die öffentliche Meinung in der Ukraine hat es in sich. So hat eine Umfrage des Rasumkow-Zentrums festgestellt, dass 71 Prozent der Ukrainer der Ansicht sind, dass die USA ihrem Land ohne jegliche Vorbedingungen helfen sollen. Nur 16 Prozent meinen, dass die USA im Gegenzug ein Recht hätten, von der Ukraine irgendwelche Reformen zu fordern. Halten Sie es für Unsinn? Es ist gar nicht so unsinnig. In der Welt der ukrainischen Propaganda ist alles logisch und rational.

Angeblich träumen auf dieser Welt alle, Israelis und Palästinenser eingeschlossen, davon, die "russische Aggression abzuwehren", doch nur die Ukraine tue dies wirklich. Es sei klar, dass die Ukrainer damit der Welt einen unschätzbaren Dienst erweisen würden, wofür die ganze Welt zahlen müsse. Und dass Reformen nicht dazu da seien, um die Lage im Land zu verbessern, sondern um weitere Almosen zu erhalten, hatte den Ukrainern noch der Internationale Währungsfonds beigebracht.

Eine separate Frage ist, inwieweit man den Angaben der gegenwärtigen ukrainischen Soziologie überhaupt trauen kann. Erstens stehen Menschen unter dem Einfluss einer hysterischen Propaganda und sind in der Wahl alternativer Informationsquellen eingeschränkt. Beispielsweise gibt es im ukrainischen Fernsehen nur ein Nachrichtenprogramm für alle Kanäle, das vom Präsidialamt strikt kontrolliert wird. Zweitens, selbst wenn sie mit der Mehrheit ihrer Landsleute nicht einverstanden sind, werden sie dreimal überlegen, was sie einer Person antworten, die sich Soziologe nennt – wer weiß, wer sich in Wirklichkeit am anderen Ende der Leitung befindet? Drittens verstehen die Soziologen selbst nur zu gut, was passieren wird, wenn die Umfrageergebnisse nicht den Wünschen von Strukturen entsprechen, die einen psychologischen Informationskrieg gegen die Bevölkerung der Ukraine führen.

Aus diesen Gründen werden Sie aus jeder beliebigen Umfrage erfahren, dass etwa 146 Prozent der Befragten an einen unausweichlichen Endsieg der Ukraine über Russland glauben. Und Sie müssen es glauben, denn 146 Prozent können sich ja nicht irren. Und überhaupt glauben nur russische Spione nicht an den Sieg. Doch außer den Angaben als solchen gibt es noch eine Dynamik – Antworten auf die gleiche Frage, die Tendenzen aufweisen, die nicht unbedingt zum von der Propaganda gezeichneten Bild passen.

Betrachten wir die bereits erwähnte Studie des Rasumkow-Zentrums, die vom 21. bis zum 27. September im Auftrag von USAID durchgeführt wurde, und die Studie des Kiewer Internationalen Soziologie-Instituts, die zwischen dem 30. September und dem 9. Oktober durchgeführt wurde. Das Rasumkow-Zentrum meldet, dass die Zahl der Wähler, die glauben, dass sich das Land in die richtige Richtung bewegt, sinke. Im Februar 2021 waren nur 20 Prozent optimistisch gestimmt, im September-Oktober 2022 waren es 51 Prozent, im Februar-März 2023 – 61 Prozent, während es nach jüngsten Angaben 49 Prozent sind.

Die Zahlen sind an sich schon absurd – es scheint, dass die Bürger der Ukraine den Krieg für einen richtigen Zustand halten. Das ist sicherlich falsch, die Logik der Menschen ist eine andere – man führe Krieg und habe keine Zeit, zu denken, warum und wofür. Gäbe es diplomatische Bemühungen, wäre es möglich, zu analysieren, was und wie in Wirklichkeit geschieht.

Wie dem auch sei, die Anzahl der Ukrainer, die glauben, dass sich ihr Land in die richtige Richtung bewege, sinkt allmählich. Die Logik dahinter ist verständlich – seit dem Beginn der "umfassenden Aggression"  sind über anderthalb Jahre vergangen, seit dem Beginn der nicht so "umfassenden Aggression" sind mehr als neuneinhalb Jahre vergangen, und ein Sieg bleibt nach wie vor aus.

Natürlich spielte auch das Scheitern der ukrainischen Offensive seine Rolle. Nach Angaben eines weiteren ukrainischen Meinungsforschungsinstituts, der soziologischen Gruppe "Rating" wurden mit 61 Prozent die niedrigsten Werte der Unterstützung des Landeskurses im August und September festgestellt, als das ukrainische Militär an der "Surowikin-Linie" stecken blieb. Das Kiewer Internationale Soziologie-Institut beobachtet indessen eine Abnahme des Glaubens der Wähler an die Einigkeit der Regierung. So sagten 32 Prozent der Befragten, dass es zwischen der politischen und der militärischen Führung ernste Konflikte gebe, während es im Dezember 2022 nur 10 Prozent, also zwei Drittel weniger waren.

In Russland ist die Diskussion über die Spannungen zwischen der politischen Führung unter Selenskij und der militärischen Führung unter Saluschny und zu einem gewissen Grad Budanow ein Allgemeinplatz. Doch in der Ukraine gelten solche Ausführungen als ein "Narrativ der russischen Propaganda".

Zwölf Prozent der Befragten meinen, dass die ukrainische Regierung den Frieden durch territoriale Zugeständnisse erwirken könne, während es im Dezember noch sieben Prozent waren. Im Übrigen halten 14 Prozent der Wähler diese Option für vertretbar, doch wahrscheinlich sind jene, die glauben, dass es möglich sei, und jene, die glauben, dass Selenskij diesen Schritt machen wolle, unterschiedliche Personen. Die Zweiteren halten Selenskij wahrscheinlich für einen Verräter.

Dreißig Prozent der Befragten glauben, dass der Westen die Ukraine zu Zugeständnissen an Russland zwingen wolle, während es im Dezember 15 Prozent waren. Das ist wiederum ein "Narrativ der russischen Propaganda", doch den Soziologen wird dafür nichts passieren – anscheinend steht hinter ihnen die Botschaft der USA, deswegen tut der ukrainische Sicherheitsdienst so, als würde sich nichts Besonderes ereignen.

Ein solch beträchtlicher Zuwachs von Zweiflern an der westlichen Unterstützung könnte teilweise damit zusammenhängen, dass drei von zehn Tagen der Umfrage auf den Beginn der Eskalation des arabisch-israelischen Konflikts fielen. Seit den ersten Minuten der Hamas-Angriffe begann Kiew, sich Sorgen um die militärische Unterstützung zu machen.

Damit liegt der Schluss nahe, dass selbst im Zerrspiegel der ukrainischen Soziologie gesellschaftliche Prozesse zu beobachten sind, die dazu führen könnten, dass die ukrainische Bevölkerung, auch wenn sie nicht zu ihren am Beginn der Militäroperation durch Hurra-Patriotismus weggefegten Sinnen kommt, doch zumindest die Wirklichkeit akzeptiert.

Doch trotz der schrecklichen Bilder der ukrainischen Friedhöfe sind die Verluste des ukrainischen Militärs noch nicht so groß, um wirkliche Änderungen der öffentlichen Meinung herbeizuführen. Bisher wird sie eher durch das Fehlen von Ergebnissen als durch die Zunahme der Verluste beeinträchtigt.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.

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