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US-Generalstabschef: zu früh, Bilanz der ukrainischen Offensive zu ziehen

Mehrere westliche Experten sprechen von einem Scheitern der ukrainischen Offensive. Indessen meint US-Generalstabschef Mark Milley, dass es für eine Bilanz noch zu früh sei. Militärpolitologen äußern die Ansicht, dass Milley sich damit einer Verantwortung für ausbleibende ukrainische Erfolge entziehen will.
US-Generalstabschef: zu früh, Bilanz der ukrainischen Offensive zu ziehenQuelle: AFP © WIN MCNAMEE

Von Alexandr Karpow und Jelisaweta Komarowa

Es sei zu früh, eine Bilanz der ukrainischen Offensive gegen die Stellungen der russischen Streitkräfte zu ziehen, sagte der US-Generalstabschef Mark Milley in einem Interview mit der Zeitung The Washington Times.

"Es ist nicht das Ende. Ich denke, es ist noch verfrüht, von Sieg oder Niederlage zu sprechen. Es ist noch nicht das Ende", zitiert die Zeitung Milley.

Der oberste Militärchef der USA merkte an, dass das Vorrücken des ukrainischen Militärs auf die russischen Stellungen im Gebiet der Spezialoperation erschwert sei, weil es sich "durch sehr dichte Minensperren, die offensichtlich äußerst gefährlich sind", durchkämpfen müsse.

Erwartungen und Realität

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums führen die Streitkräfte des Kiewer Regimes offensive Aktionen seit dem 4. Juli. Der Behörde zufolge verlor das ukrainische Militär in zwei Monaten über 43.000 Soldaten und etwa 5.000 Einheiten von Kriegsgerät, darunter 26 Flugzeuge und 25 Panzer des Typs Leopard. Zuvor hatte Russlands Präsident Wladimir Putin angemerkt, dass die ukrainischen Truppen an keinem Frontabschnitt Erfolge erzielen konnten.

Ungeachtet der Verluststatistik und des Fehlens größerer Erfolge der ukrainischen Kräfte hatte Milley auch früher behauptet, dass es zu früh sei, von einem Scheitern der seit Jahresbeginn 2023 groß angekündigten Offensive zu sprechen.

"Sie ist bei Weitem nicht gescheitert. Ich denke, es ist noch zu früh, einen solchen Schluss zu ziehen", behauptete Milley Mitte Juli.

Dennoch sagen westliche Experten immer öfter, dass die Gegenoffensive fehlschlage.

So veröffentlichte die US-amerikanische politische Zeitschrift Responsible Statecraft im Juli vor dem Hintergrund von Milleys Worten über die Voreiligkeit von Aussagen über das Scheitern der Offensive einen Artikel unter dem Titel "Warum die ukrainische Offensive scheitert".

"Kiew hat schlicht keine menschlichen Ressourcen und physische Infrastruktur zum Erreichen seiner Ziele", schreibt die Zeitschrift.

Der Artikel erinnerte daran, dass westliche Politiker, darunter der Pentagonchef Lloyd Austin, einen Erfolg der ukrainischen Offensive voraussagten, während manche sogar behaupteten, dass sie mit einer Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld enden werde.

"Dennoch zerstreute die militärische Realität diese Behauptungen und entblößte die harte Wahrheit: Es ist unwahrscheinlich, dass es der Ukraine gelingt, Russland auf militärischem Wege von seinem Gebiet zurückzudrängen, egal wie viele Menschen sie in den Kampf wirft", betonte Responsible Statecraft.

Der Fernsehkanal CNBC meldete ebenfalls Ende Juli, dass Analytiker der US-Militäraufklärung und Experten anmerken, dass sich für das ukrainische Militär "das Fenster der Möglichkeiten" für das Erreichen eines bedeutenden militärischen Erfolgs rapide schließe.

Eine ähnliche Meinung vertreten die britischen Medien. So veröffentlichte die Zeitung The Telegraph eine Publikation unter dem Titel "Die ukrainische Offensive scheitert, und es gibt keine einfachen Lösungen dafür".

Dabei hatte der Autor des Artikels, Richard Kemp, zuvor regelmäßig Artikel veröffentlicht, wonach das Kiewer Regime den russischen Streitkräften in Kürze eine derart vernichtende Niederlage zufügen werde, dass sie zu einem "Kollaps der russischen Regierung" führen werde.

Seinerseits berichtete der Fernsehkanal CNN unter Verweis auf Quellen in Bidens Administration, dass der US-amerikanischen politischen Klasse zunehmend bewusst werde, dass das ukrainische Militär kaum Erfolge erzielen werde, die eine Änderung der Kräftebalance ermöglichen.

Eine der Quellen betonte, dass die russischen Streitkräfte eine gestaffelte Abwehr mit Minenfeldern und Schützengräben aufgebaut hätten, während die Kräfte des Kiewer Regimes in den Monaten der Offensive nicht einmal die erste Verteidigungslinie hätten überqueren können.

Sich der Verantwortung entziehen

US-Generalstabschef General Milley spricht davon, dass es verfrüht sei, eine Bilanz der ukrainischen Offensive zu ziehen, um persönlich einer Verantwortung für deren Scheitern zu entgehen, bevor er im September pensioniert wird. Dies erklärte der Militärpolitologe Iwan Konowalow.

"Milleys Erklärung zielt buchstäblich darauf ab, die Bilanzierung der Offensive aufzuschieben und sich somit als oberster Militärführer der USA einer Verantwortung für ihr Scheitern zu entziehen. Im Herbst verlässt er seinen Posten, möge also diese Bilanz jemand anderes ziehen", bemerkte der Experte.

Die USA fordern von ukrainischen Truppen, nicht nachzulassen und trotz des offensichtlichen Ausbleibens der Ergebnisse ständig die russischen Verteidigungslinien anzugreifen, fügte er hinzu.

"Zu Beginn war das Tempo relativ hoch. Das ukrainische Militär wurde schnell zurückgeschlagen, und das Tempo ließ nach. Sie versuchten noch einmal, das Tempo zu erhöhen, wurden wieder zurückgeschlagen, und das Tempo verlangsamte sich wieder. Die USA fordern von ihnen, die Offensive fortzusetzen – und sonst nichts", betonte Konowalow.

Der Kriegsberichterstatter Alexandr Chrolenko bemerkte in einem Gespräch mit RT, dass General Milley eine klare Bilanzierung der jüngsten ukrainischen Angriffsaktionen vermeide, weil sich dies auf das Image von Bidens Administration negativ auswirken würde.

"Washington gab Dutzende Milliarden US-Dollar für dieses Projekt aus. Am Schluss sehen wir, dass die Militärhilfe der USA und der NATO (und von insgesamt 50 Geberländern) de facto methodisch von Russland vernichtet wird. Die Offensive, von der man so viel sprach, für die man Zehntausende von ukrainischen Militärangehörigen ausbildete, ist ins Stocken geraten, um es milde auszudrücken. Sie wurde für das ukrainische Militär zu einem Fleischwolf praktisch an allen Frontabschnitten, besonders bei Saporoschje", bemerkte er.

Washington wolle nicht den Steuerzahlern und den europäischen Verbündeten erklären, warum diese Ausgaben keinen Sieg über Russland brachten, fügte Chrolenko hinzu.

"Milley kann all diese Fragen nicht beantworten, deswegen betreibt er Demagogie und behauptet, dass noch nicht alles verloren sei", erklärte der Experte.

Dabei verstehe Milley als Militärführer sehr gut, wie sich die Lage tatsächlich gestalte, so Chrolenko.

"Für eine Offensive wird eine drei- bis vierfache Überlegenheit an Personal und Material benötigt. Und Milley weiß, dass es diese Überlegenheit nicht gibt. Worauf hoffen sie? Dass Russland vor den alten Panzern Leopard oder M1 Abrams zurückschreckt? Das ist einfach lächerlich! Das ukrainische Militär greift nirgendwo an – es tritt auf den russischen Minensperren auf der Stelle. Für sie endet es sehr schlecht. Sie vernichten ihr eigenes Personal auf den Minenfeldern, doch das gilt als Offensive", betonte der Kriegsberichterstatter.

Politische Kreise in den USA verfielen in Frustration, denn der Plan, Russland zu schwächen und militärisch zu besiegen, habe nicht funktioniert, sagte Chrolenko. Indem Milley sagt, dass noch nicht alles verloren sei, versuche er bloß, die Öffentlichkeit zu beruhigen.

"Die USA wissen nicht, was sie tun sollen. Sie rechneten damit, dass wenn sie Kampfhandlungen gegen Russland initiieren und danach harte Sanktionen einführen, Russlands Wirtschaft zusammenbrechen, die Armee ohne Unterstützung bleiben und alles zusammenstürzen würde. Es bleibe nur, diesen Kuchen aufzuteilen. Um das zu verwirklichen, müsse man der Ukraine alles geben, was man in den Arsenalen angesammelt hat, die NATO-Verbündeten müssten sich etwas anstrengen, um andere Länder mitzunehmen, dann werde Russland unweigerlich zerfallen. Doch alles kam anders. Für Biden und seine Administration ist es eine Katastrophe. Eine Katastrophe, deren Maßstab selbst den Rückzug aus Afghanistan in den Schatten stellen kann", erklärte der Experte.

Übersetzt aus dem Russischen.

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