Deutschland

Die Deutschen erinnern sich wieder daran, dass sie eigentlich nicht Teil des Westens sind

In Deutschland steigt das Verständnis, dass es sich aus dem Vasallentum der USA befreien muss. Eine größere Orientierung gen Osten würde es dem Land erlauben, sich von den Zwängen des Westens zu lösen, und eine Politik im Interesse der eigenen Bevölkerung zu gestalten.
Die Deutschen erinnern sich wieder daran, dass sie eigentlich nicht Teil des Westens sindQuelle: Sputnik © Igor Sarembo

Von Pjotr Akopow

Statt die Politik von US-Präsident Joe Biden über die gezielte Spaltung Eurasiens zu unterstützen, sollte sich Deutschland in seinen Beziehungen zu Russland ein Beispiel an Ungarn und Serbien nehmen. Außerdem wäre es generell gut, wenn Deutschland einen Beobachterstatus in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit bekäme. Das ist es, was eine volksnahe Partei in Deutschland nun vorschlägt. Doch immer der Reihe nach.

In einer Woche finden in Bayern, dem größten deutschen Bundesland, Landtagswahlen statt – ein wichtiges Ereignis, allerdings nur für Deutschland. Dies gilt umso mehr, als die größte Überraschung bei der letzten Wahl vor fünf Jahren geschah, als die Christlich-Soziale Union, die Bayern seit jeher regiert, nur 37 Prozent der Stimmen erhielt und mit der konservativen, aber weniger systematischen Partei der Freien Wähler koalieren musste, um an der Macht zu bleiben.

Während des aktuellen Wahlkampfs wurde versucht, den Vorsitzenden und stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger von Bord zu werfen – ihm wurde Antisemitismus während seiner Schulzeit vorgeworfen. Aber Aiwanger hielt durch, und nun hat die Koalition der CSU mit den Freien Wählern alle Chancen, an der Macht zu bleiben. Ja, die CSU wird vielleicht noch weniger Stimmen bekommen als 2018, sie ist im Moment im Abwärtstrend. Das Interessante an den bayerischen Wahlen ist aber nicht das Ergebnis, sondern das, womit eine bestimmte deutsche Partei in die Wahl geht. Die Rede ist von der Alternative für Deutschland (AfD) – und die hat wirklich revolutionäre Slogans für Deutschland.

Übrigens ist sie längst nicht mehr nur "eine der Parteien", sondern gilt als eine der beiden "großen Parteien". Ihre Werte haben in den letzten Jahren zunehmend die 20-Prozent-Marke überschritten – bei letzten Umfrageergebnissen lag sie bei 22 Prozent. Nur die CDU/CSU liegt mit 27 Prozent noch vor ihr. Allerdings sind CDU und CSU unterschiedliche, wenn auch Bruderparteien (die CSU ist nur in Bayern aktiv, wo es keinen CDU-Ableger gibt). Nimmt man also die Werte der einzelnen Parteien, so ergibt sich, dass die AfD bereits mit der CDU gleichgezogen hat und eine der beiden großen deutschen Parteien ist.

Gleichzeitig wird immer noch versucht, sie zu isolieren und an den Rand zu drängen, das heißt, sie auf jeder Ebene von der Macht fernzuhalten, denn alle anderen Parteien weigern sich, mit ihr eine Koalition einzugehen. Dies ist eine äußerst gefährliche Strategie für die Systemparteien, denn wenn die Wähler sehen, wie eine bestimmte Partei isoliert wird, neigen sie zunehmend dazu, sie zu unterstützen.

Früher oder später werden die Werte der AfD so stark ansteigen (sagen wir bis zu 30 Prozent), dass es unmöglich sein wird, an ihr vorbeizukommen, weil sie nicht nur die beliebteste Partei in Deutschland sein wird – es wird unmöglich sein, eine Koalition ohne sie zu bilden (es sei denn natürlich, alle anderen Parteien außer der Linken werden einbezogen, aber eine solche Anti-AfD-Koalition wäre völlig undurchführbar).

Im Moment haben die Systemparteien noch Zeit: Die nächsten Bundestagswahlen finden in zwei Jahren statt, und die AfD wird bis dahin nicht genug Zeit haben, stark zu wachsen (obwohl sie seit Beginn des Jahrzehnts sehr schnell an Beliebtheit gewonnen hat). Es ist jedoch schon jetzt notwendig, darauf zu achten, was diese Partei vorschlägt und was ihre Spitzenpolitiker sagen – und hier sind die aktuellen bayerischen Landtagswahlen sehr wichtig.

Jeder weiß, dass die AfD eine Partei der Euroskeptiker und Befürworter einer Begrenzung der Migration ist. Diesen Ruf hat sie sich in den zehn Jahren ihres Bestehens bereits erworben. In den letzten Jahren wurde ihr ständig vorgeworfen, sie sei prorussisch – noch vor der russischen militärischen Spezialoperation war sie tatsächlich gegen Sanktionen gegen Russland und für eine weniger US-zentrierte Haltung Deutschlands. Ursprünglich war die AfD jedoch trotz aller Europaskepsis weder gegen die NATO noch gegen die EU gewesen (es war lediglich vorgeschlagen worden, sie in Richtung einer Stärkung der Befugnisse der nationalen Regierungen zu reformieren). Doch nun klingen die Programmdokumente des bayerischen Ablegers der AfD ganz anders.

Bayern solle zu einem Brückenbauer zwischen Ost und West werden, statt einseitig US-Interessen und Bidens Geopolitik zur gezielten Spaltung Eurasiens zu unterstützen. Die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine liege bei den Vereinigten Staaten und vor allem bei Biden. Bayern wird aufgefordert, sich ein Beispiel an Ungarn und Serbien zu nehmen und Kontakte mit Russland über etablierte Kommunikationskanäle zu langjährigen russischen Partnern wiederaufzunehmen.

"So deutlich hat sich noch kein westlicher Landesverband der AfD auf die Seite Russlands gestellt", schreibt das Portal Correctiv, das die Parteidokumente der Partei kommentiert. "Die Bayern-AfD fordert den Freistaat zu einer eigenen Russlandpolitik an der Bundesregierung vorbei auf", empört sich Correctiv weiter. Tatsache ist jedoch, dass ähnliche Thesen bereits in das parteiübergreifende Programm der AfD für die Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Frühjahr eingesickert sind.

So ist zum Beispiel der Bezug auf die NATO völlig aus dem Programm verschwunden (die Partei nannte sie früher "die Klammer einer transatlantischen Sicherheitsarchitektur, deren entscheidender Anker das Bündnis mit den USA ist"), während es von der EU heißt, dass sie "überwunden werden muss". Deutschland wird ermutigt, "einen Beobachterstatus in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit anzustreben" und "mit der von Moskau geführten Eurasischen Wirtschaftsunion zusammenzuarbeiten".

Der Bezug auf die NATO ist beispielsweise völlig aus dem Programm verschwunden (früher nannte die Partei sie "den Eckpfeiler der transatlantischen Sicherheitsarchitektur, deren wichtigster Anker das Bündnis mit den Vereinigten Staaten ist"), während es in Bezug auf die EU heißt, dass sie überwunden werden müsse. Deutschland wird ermutigt, "einen Beobachterstatus in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit anzustreben" und "mit der von Moskau geführten Eurasischen Wirtschaftsunion zusammenzuarbeiten".

Als Ursache für den Konflikt in der Ukraine wird die "Dominanz außereuropäischer Großmächte" genannt, die dafür verantwortlich sei, "dass die Staaten Europas in Konflikte" hineingezogen würden, die den "fruchtbaren Handelsbeziehungen im europäisch-asiatischen Raum – diametral entgegenstehen" würden.

Die aufgeschreckte Organisation Correctiv stellt fest, dass "in derartiger außenpolitischer Wandel einer Partei in der deutschen Parteiengeschichte einmalig" sei. "Noch nie hat sich in der Bundesrepublik eine Partei, die sich selbst bis heute als bürgerlich beschreibt, aus der Westbindung gelöst und sich außenpolitisch nach Moskau ausgerichtet." Es wird hervorgehoben, dass andere Parteien nach dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts ihre Hoffnungen auf eine "Entspannungspolitik", auf "Wandel durch Handel" revidiert haben und eine Isolierung und Eindämmung Moskaus befürworten. Der AfD wird vorgeworfen, "diesen Richtungswechsel" nicht nur nicht mitgemacht, sondern ihre Annäherung an Russland sogar noch verstärkt zu haben, obwohl sich andere europäische rechte Parteien (wie die Fratelli d'Italia und ihre Vorsitzende, die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni) "klar auf die Seite der Ukraine gestellt" haben.

Es scheint, dass die AfD sich in eine antitransatlantische und eurasische Partei verwandle, beklagt Correctiv und prophezeit, dass, wenn die letzten wenigen kritischen Stimmen in der Partei, die Deutschlands traditionelle sogenannte Nachkriegs-Westbindung und westliche Institutionen befürworten, bald zum Schweigen gebracht würden, die AfD endgültig zu einer prorussischen Kraft würde, die Europa und Deutschland zusammen mit China und Russland in eine multipolare Welt führen wolle.

Hierzu gibt es eigentlich nichts weiter zu sagen – so gut sind die Schlussfolgerungen. Ja, der Einfluss jener – formal noch unsystematischen und antisystemischen – Kräfte, die für eine Befreiung von angelsächsischem Diktat und Kontrolle, für eine unabhängige, prodeutsche Politik und für eine eurasische Orientierung eintreten, nimmt in Deutschland zu. Man kann sie anschwärzen, sie als prorussisch oder gar als "nützliche Idioten" und "Putin-Agenten" bezeichnen – das wird nichts bringen und nichts an der Tatsache ändern, dass der Prozess der De-Atlantisierung Deutschlands bereits im Gange ist. Bis jetzt ist er zwar nur in den Köpfen einiger Wähler, doch die Politik der AfD gewinnt an Zuspruch, und der eigentliche Motor der Bewegung ist klar und natürlich.

Deutschland hat sich bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts weder als Teil des Westens noch als Teil des Ostens verstanden – und dieses Verständnis kehrt allmählich zu den Deutschen zurück, die über die Zukunft ihres eigenen Volkes nachdenken. Sie richten ihren Blick nicht nach Osten – nach Russland und China –, weil sie Teil des Ostens werden wollen, sondern weil sie sich aus der Abhängigkeit vom Westen befreien wollen. Deutschland wird schon bald – nach historischen Maßstäben – aufhören, ein künstlicher (untergeordneter) Teil des Westens zu sein.

Übersetzt aus dem Russischen. Erstveröffentlichung am 30. September 2023 bei RIA Nowosti.

Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.

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