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Nicht genug Munition: Saluschny räumt Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive ein

Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee Waleri Saluschny hat offen eingestanden, dass die Gegenoffensive ein Misserfolg war. Er betont, dass die Ukraine in einem langwierigen Zermürbungskrieg gegen Russland keine Chance habe.
Nicht genug Munition: Saluschny räumt Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive ein© Ukrainian Presidential Press Office via AP

Von Dawid Narmanija

Waleri Saluschny, der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, scheint entschlossen, sich in einer neuen Rolle zu versuchen, die sich mit einem kurzen Zweizeiler umschreiben lässt: Fritzchen ist mit der Gegenoffensive gescheitert, daher wurde Fritzchen lieber zum Essayisten. Zumindest bezeichnet die Wochenzeitung The Economist, die ein Interview und die Zusammenfassung eines Artikels des ukrainischen Kommandeurs veröffentlichte, dessen Werk als Essay. Der zehnseitige Artikel selbst wurde separat veröffentlicht. Nun, wie könnten wir da dem frischen gebackenen Schriftsteller ein herzliches Willkommen in dem Genre verweigern?

Saluschny analysiert detailliert die Gründe für das Scheitern der Gegenoffensive der ukrainischen Armee, auf die im Westen so große Hoffnung gesetzt wurde. Die vollständige Fassung des Artikels ist sicherlich eine eingehende Betrachtung durch russische Fachleute wert – jede Information über den Feind sollte mit der gebührenden Aufmerksamkeit behandelt werden. Dennoch sollte ihr Wert auch nicht überschätzt werden – doch urteilen Sie selbst.

Die wichtigste Schlussfolgerung Saluschnys ist, dass der Konflikt in das Stadium der Stellungskämpfe übergeht, ähnlich wie bei den Grabenkämpfen im Ersten Weltkrieg. Seiner Meinung nach müsse Kiew nun

  • die Luftüberlegenheit erlangen;
  • die Effektivität der elektronischen Kriegsführung erhöhen;
  • mit den Minenfeldern fertig werden;
  • das Problem der Bildung und Ausbildung der notwendigen Reserven lösen.

Im Allgemeinen erinnert es ein wenig an eine Taktik beim Hinterhof-Fußball. Natürlich enthält das zehnseitige Strategieblatt des ukrainischen Oberbefehlshabers auch einige vernünftige Argumente, vor allem in Bezug auf die Verteidigung mit Gegenbatterien und den Einsatz von Drohnen. Aber es ist jedoch wichtig, sich klarzumachen, dass es in diesem Artikel keineswegs darum geht, den westlichen Lesern die Taktik der ukrainischen Streitkräfte zu erklären.

Warum Saluschny zur Feder gegriffen hat, geht aus seinem Interview mit The Economist hervor. Der ukrainische Oberbefehlshaber beklagt: Allen westlichen Schätzungen zufolge hätte Kiew Erfolg haben müssen! "Wenn man sich die NATO-Lehrbücher und die Berechnungen ansieht, die wir angestellt haben, hätten vier Monate ausreichen müssen, um auf die Krim zu gelangen, dort zu kämpfen, von der Krim zurückzukommen – und das gleich mehrmals."

Diese Taktik – nur in Miniaturform – war wohl auch in dem berühmten Video zu sehen, das zum Symbol für das Scheitern der Gegenoffensive geworden ist. Es erschien im Juni, als eine Kolonne ukrainischer Militärtechnik unter dem Feuer der russischen Artillerie durch ein Minenfeld rollte. Seitdem hat der ukrainische Generalstab jedoch keine radikal neuen Lösungen erkennen lassen.

Saluschny argumentiert jedoch, dass es hier nicht um ukrainische Soldaten und Offiziere gehe. Es gehe um einen Stellungskrieg und um den Westen, der mit der Lieferung von Kriegsgerät sehr spät dran sei. Grob gesagt: Gestern habe man Flugzeuge gebraucht, der Westen werde diese aber erst übermorgen liefern. Die Russische Föderation passe sich aber schnell an das an, was der Westen liefert, wie zum Beispiel an die Excalibur-Geschosse.

Es ist bemerkenswert, dass der ukrainische Oberbefehlshaber sich keine Äußerungen im Stil des ukrainischen Machthabers Wladimir Selenskij erlaubt: "Habt ihr Leoparden? Gebt sie mir!" Im Gegenteil: Saluschny ist viel zurückhaltender, was die Sponsoren des ukrainischen Regimes angeht. Er beton: "Sie sind nicht verpflichtet, uns etwas zu geben, und wir sind dankbar für das, was wir haben. Ich schildere nur die Fakten."

Um einen Vorteil im Stellungskrieg zu erlangen, braucht die Ukraine einen technologischen Durchbruch, der mit der Erfindung des Schießpulvers vergleichbar sei, meint der ukrainische Oberbefehlshaber. Andernfalls werde sich der Konflikt in einen Zermürbungskrieg verwandeln, in dem Russland mit Sicherheit gewinnen werde.

Hierbei sollten zwei Aspekte beachtet werden:

Erstens erschien Saluschnys zehnseitige Analyse nur wenige Tage nach dem kritischen Artikel des US-Magazins Time über Selenskij, in dem er als – gelinde gesagt – unzulängliche Führungspersönlichkeit dargestellt wird, die völlig realitätsfern ist und von den Menschen Unmögliches verlangt. Vor diesem Hintergrund macht Saluschny einen sehr ausgewogenen Eindruck auf das westliche Publikum, das im Mittelpunkt der "literarischen" Bemühungen des ukrainischen Generals steht. Daher wird es niemanden überraschen, dass die ukrainischen Sponsoren bei den bevorstehenden Wahlen in der Ukraine auf ihn setzen werden, falls diese stattfinden sollten.

Zweitens hat Saluschny natürlich recht: Die ukrainischen Streitkräfte haben in einem langwierigen Krieg keine Chance. Die Ukraine ist dem Untergang geweiht, und nur ein Eingeständnis der Niederlage kann sie retten. Würde man seinen Artikel auf einen einzigen Satz zusammenfassen, müsste er so lauten: "Wir brauchen eine Wunderwaffe." Hach, wie ukrainisch!

Aber selbst neue Munition wird für Kiew nicht ermöglichen zu gewinnen.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst am 3. November bei RIA Nowosti erschienen.

Dawid Narmanija ist ein russischer Kolumnist und Blogger.

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