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British Museum von Angestellten beraubt und keiner merkt es? Etwas ist faul im Staate Großbritannien

Der Skandal um das Verschwinden von fast 2.000 Objekten aus der Sammlung des Britischen Museums ist doppelt erschütternd: Weil es sich bei den Dieben um hochrangige Mitarbeiter handelt und weil sie lange Zeit von der Museumsleitung und dem Kulturministerium vertuscht wurden.
British Museum von Angestellten beraubt und keiner merkt es? Etwas ist faul im Staate GroßbritannienQuelle: Legion-media.ru © John Wreford / SOPA Images/Sipa

Diese Geschichte klingt wie ein Krimi oder ein Fantasy-Roman – aber sie ist leider wahr. Mehrere Jahre lang hat die Leitung des angesehenen British Museums den Raub wertvoller Exponate vertuscht und diejenigen gedeckt, die die kostbare Sammlung bei Online-Auktionen verscherbelt haben könnten. "Die Krise, die nach der Aufdeckung von 2.000 vermissten Gegenständen im Britischen Museum ausgebrochen ist, wirft grundlegende Fragen über das Management und die Aufsicht in einem der führenden Museen der Welt auf", schreibt der Journalist und renommierte Kunsthistoriker Martin Bailey auf den Seiten von The Art Newspaper. Doch der Reihe nach.

Im Jahr 2014 beginnt Ittai Gradel, ein dänischer Kunsthändler und Fachmann für antike Edelsteine, Gegenstände zu erwerben, von denen er später feststellen wird, dass sie aus der Sammlung des Britischen Museums stammen. Im Jahr 2015 sieht Gradel bei eBay unter anderem eine geschnitzte Gemme, die eindeutig dem Britischen Museum gehört. Wie sie hierherkam, ist ihm unklar. Aber es führt ihn zu der Vermutung, dass auch andere Objekte aus der Sammlung stammen könnten. Eine kleine Nuance: Alle Museumsobjekte, die im Internet zum Verkauf angeboten wurden, waren meist nie ausgestellt, sondern wurden in den Depots des Museums gelagert und für wissenschaftliche Arbeiten verwendet.

Einige Jahre später und nachdem es Gradel immer wieder gelungen war, Artefakte aus dem British Museum auf Online-Plattformen zu kaufen oder zu erfassen, beschließt er, die Museumsleitung zu kontaktieren. Was dann passierte, hat etwas Schockierendes in sich.

Am 1. März des Jahres 2021 berichtet Gradel dem stellvertretenden Direktor des Britischen Museums, Jonathan Williams, von seinem Verdacht und verweist auf Peter Higgs, den Kurator für das antike Griechenland und das alte Rom, als möglichen Verkäufer. Der stellvertretende Direktor antwortet Gradel nicht. Später im Frühjahr wird Higgs überraschend vom Kurator zum amtierenden Leiter der Abteilung Altes Griechenland und Altes Rom befördert – obwohl bereits der Anfangsverdacht eines Diebstahls gegen ihn im Raum stand.

Nachdem er von Williams keine Antwort erhalten hatte, wandte sich der dänische Experte im Juni direkt an den Direktor des Museums – damals war dies der deutsche Kunsthistoriker Hartwig Fischer. Fischer antwortete ihm, dass "alle Objekte auffindbar sind und es keinen Hinweis auf ein unrechtmäßiges Verhalten des Personals gibt". Gleichzeitig wird dem Kulturministerium, das für das größte britische Museum zuständig ist, ein Inspektionsbericht übermittelt, aus dem hervorgeht, dass die Informationen über den Verkauf von Museumsobjekten auf Online-Plattformen nicht der Wahrheit entsprechen.

Gradel, der offenbar seinen Augen nicht traut, schreibt im Oktober an den Verwalter des Britischen Museums, Paul Ruddock. Und letzterer – Überraschung! – antwortet wie folgt: "Der Fall wurde gründlich untersucht. … Es wurden keine Fakten gefunden, die die Anschuldigungen stützen", alle Objekte "befinden sich in der Sammlung". Inzwischen ist klar, dass dies eine eklatante Lüge war – denn als das British Museum die Diebstähle aus den Sammlungen zugab, lag die Zahl der gestohlenen Exponate bei über fünfzehnhundert. Es ist kaum möglich, so etwas zu übersehen.

Erst im Januar des Jahres 2023 – nach mehreren Jahren systematischer Diebstähle und vielen Briefen des dänischen Experten Gradel an die Museumsleitung – erkennt das British Museum schließlich den Diebstahl der Exponate an und wendet sich an die Londoner Polizei. Und meldet auch dem Kulturministerium, dass "möglicherweise Gegenstände" aus der Sammlung fehlen. Das heißt, es scheint etwas zu fehlen –  angeblich weiß das jedoch keiner genau. Der unmittelbar verdächtige Higgs wird aber nicht gefeuert, nein, er wird einfach wieder in die Position eines gewöhnlichen Kurators versetzt.

Erst im Sommer des Jahres 2023 wird Higgs entlassen, und das Kuratorium beschließt, sich von Fischer und Williams zu trennen. Aber auch hier gibt es surreale Wendungen: Bei der Verabschiedung von Hartwig Fischer in den Ruhestand dankt ihm Kulturministerin Lucy Frazer, die bereits von den massiven Veruntreuungen unter seiner Ägide hätte wissen müssen, für seine "hervorragende Führung" und stellt fest, dass er ein "wertvolles Erbe" hinterlässt. "Doch es war Fischers Kurzsichtigkeit zu verdanken, dass das Museum seine schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg erlebte", wundert sich der Kunsthistoriker Martin Bailey. "Außerdem hatte das British Museum zu diesem Zeitpunkt die fehlenden Artefakte bereits identifiziert und das Ministerium informiert." Bailey merkt auf den Seiten von The Art Newspaper zu dem Fall weiter an:

"Die bestehenden Verfahren für hochrangige Mitarbeiter im Falle eines Diebstahls erwiesen sich als ungeheuerlich ineffektiv. Bereits im Jahr 2021 informierte der dänische Edelsteinexperte Ittai Gradel Fischer und Williams darüber, dass jemand Objekte aus ihrem Museum zu stehlen scheine, aber beide ignorierten seine Aussage und antworteten, dass es keine Verluste in der Sammlung gegeben habe."

Zudem kamen Fragen zur Rolle der Museumsverwalter auf, allen voran dem ehemaligen britischen Schatzkanzler George Osborne, der im Oktober des Jahres 2021 den Vorsitz des Kuratoriums des British Museums übernimmt, so der Kunsthistoriker. Und fährt fort:

"Haben sie die Situation im Auge behalten? Und was ist mit dem größten Geldgeber des Museums, dem Ministerium für Kultur, Medien und Sport? Dieses Ministerium hat dem Britischen Museum 20 Millionen Pfund an zweckgebundenen Kapitalzuschüssen zu 47,8 Millionen Pfund an Einnahmen zwischen den Jahren 2022 und 2023 zukommen lassen."

Die nüchterne Bilanz lautet: Das größte Museum Großbritanniens und Europas hat einen enormen Imageschaden erlitten und steht am Abgrund zur größten Krise des letzten Jahrhunderts. Und noch etwas: Wenn sich das Britische Museum früher kategorisch geweigert hat, sich am Restitutionsprozess zu beteiligen, unter anderem mit dem Argument, dass in seinen Mauern alle Artefakte so intakt und sicher sind wie sonst nirgendwo auf der Welt, so wird es jetzt hier etwas ändern müssen. Martin Bailey erklärt:

"Das Museum wird nun von einer Welle von Restitutionsforderungen heimgesucht, wobei die Antragsteller argumentieren, dass es unsicher sei, Wertgegenstände in seinen Wänden zu belassen. Die Elgin-Marbles und die Benin-Bronzen gehören zu den Objekten, deren Rückgabe an ihr Heimatland gefordert wird. Und in naher Zukunft werden diese Forderungen sicherlich noch lauter werden."

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