Nahost

Einig im Kampf gegen Israel: Hisbollah, Amal und die Christen

Die in Russland lebende Journalistin Sonja van den Ende berichtet von ihrer Fahrt durch Libanon. Sie gibt uns Einblicke in das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften und ihre einheitliche Meinung zu dem von Israel ausgehenden Massaker im Gazastreifen.
Einig im Kampf gegen Israel: Hisbollah, Amal und die Christen© Mirjam

Von Sonja van den Ende

Nachdem ich tagelang den Süden Libanons und weitere Teile des Landes besucht und dort mit verschiedenen Gruppen gesprochen habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die schiitische Hisbollah, die Amal Partei und die verschiedenen christlichen Gruppen, wie etwa die maronitischen Christen, behaupten, ein gemeinsames Ziel zu haben: den Kampf gegen Israel! Die Hisbollah, die den Krieg, den Israel 2006 gegen sie geführt hat, gewann, ist auf einen neuen Krieg gegen Israel vorbereitet. Die Hisbollah hat ihre Verteidigung im Süden Libanons neu errichtet, wo sie zusammen mit den verschiedenen christlichen Gruppen lebt.

Seit Beginn des aktuellen Gaza-Krieges, den beide Gruppen auch als "Massaker am Volk von Gaza oder den Palästinensern" bezeichnen, sind sie sich einig in der Forderung nach einem Ende dieses Massenmordes, ebenso wie des Beschusses durch Israel in Südlibanon, wo die meisten Mitglieder der Hisbollah und Christen in Dörfern Seite an Seite leben, Schiiten und Christen. Wenn Sie in Libanon nach Süden reisen, kommen Sie durch Dörfer, in denen Sie anhand der Schilder erkennen können, ob es sich um eine Siedlung der Hisbollah, ein christliches Dorf oder eines der zweiten schiitischen Partei handelt, der Amal-Partei unter Nabih Berri. Die christlichen Parteien haben oft Schilder mit dem ehemaligen Präsidenten Michel Aoun aufgestellt, die Hisbollah nutzt gelbe Fahnen und die Anhänger der Amal-Partei grün-rote.

Die den meisten im Westen unbekannte politische Partei Amal spielt neben der Hisbollah im Süden, eigentlich im gesamten Libanon eine wichtige Rolle. Sie ist die zweitgrößte schiitische Partei im Libanon, gemäßigter als die Hisbollah, kämpft aber gemeinsam mit dieser im Süden gegen Israel – und nicht erst jetzt seit Beginn des Gaza-Krieges, sondern schon seit vielen Jahren. Überall im Süden hängt neben einer grünen Flagge mit roten Buchstaben das Bild von Musa as-Sadr, dem berühmten Führer der Schiiten im Libanon und Gründer der Amal-Bewegung. Er verschwand 1978 unter bislang ungeklärten Umständen in Libyen. Die meisten Sunniten sind traditionell mit Amerika und Frankreich verbunden, aber auch mit Ländern wie Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Aber jetzt, da der Krieg Israels gegen Gaza wieder aufgeflammt ist, dieses Mal ein erbitterter und äußerst tödlicher Krieg, verändert sich auch die Unterstützung dieser Gruppe für den Westen und ich sah mehr Solidarität zwischen den Glaubensgemeinschaften.

Alle Beteiligten sagen dasselbe: "Palästina sollte einen eigenen Staat und ein eigenes Land haben." Seit 1948 sind unter den Schutzsuchenden in Libanon nach den Syrern die Palästinenser am stärksten vertreten. Eines der berühmtesten Flüchtlingslager ist das berüchtigte "Sabra und Shatilla" in Beirut, das inzwischen zu einer Art elender Wohngegend mit zahlreichen Arbeitslosen geworden ist, in der nicht nur Palästinenser leben, sondern auch viele syrische und äthiopische Flüchtlinge. Gemalte Bilder ihres Helden Abu Ammar (Jassir Arafat) zieren noch immer die Wände und den Eingang.

Wenn Sie nach Süden reisen, stoßen Sie auf einen Ort namens Mleeta. Der Ort wurde nach dem Berg benannt, auf dem er liegt. Während der Jahre der israelischen Besatzung bis zum Jahr 2000, als die meisten Teile des Libanons befreit wurden, waren dort die Widerstandskämpfer stationiert. Mleeta war eine der ersten Verteidigungslinien in einem weiten Gebiet, das Nabatiyeh, Jizzeen und Iqlim al-Tuffah umfasste, und es war ein Stützpunkt für die Durchführung verschiedener Dschihad-Operationen innerhalb der besetzten Sicherheitszone. In der gesamten Zeit des Konfliktes gelang es dem Feind nie, Mleeta zu durchqueren. Stattdessen wurde der Ort zu einer Dschihad-Akademie mit besonderer Spiritualität, die Tausende Widerstandskämpfer anzog – rekrutiert für das, was später als Hisbollah bekannt wurde. Er wurde eine Brücke für die Mudschaheddin, um militärische Operationen innerhalb der besetzten Zone durchzuführen. Heute kann man Mleeta besuchen, es ist zu einer Touristenattraktion und einem Denkmal geworden. Aktuell kann man es nicht besichtigen, da Kriegsgefahr seitens Israels besteht.

"Noch bevor ich Mleeta und den Süden und auch die Hisbollah-Viertel in Beirut selbst besuchen durfte – weil die Lage mit Israel angespannt ist und jederzeit ein weiterer gnadenloser Krieg ausbrechen könnte, mit dem die Libanesen seit Jahren Erfahrung haben – wurde ich in einem gepanzerten Wagen zu verschiedenen Orten gebracht und einem Verhör unterworfen, wohin ich gehen wolle und natürlich, was ich mit den gesammelten Informationen machen würde. Als klar war, dass ich in Russland lebe und einige Hisbollah-Kämpfer mich aus Syrien kannten, beruhigten sie sich und gaben mir die Erlaubnis, durch Teile des Libanons zu reisen!"

Mleeta ist ein wichtiger Punkt für die Hisbollah und die Schiiten. Aber für die Christen ist es die Stadt Jounieh, eineinhalb Autostunden entfernt, nördlich von Beirut. Auf dem Berg oberhalb der Stadt befindet sich der als Harissa bekannte Ort, eine Pilgerstätte für die Christen, genauso wie Mleeta ein Wallfahrtsort für die Schiiten ist. Eine 15 Tonnen schwere weiß gefärbte Bronzestatue der Jungfrau Maria steht in Hadrissa. Erzbischof Shukrallah Nabil El Hajj von der Maronitischen Kirche war vor Ort und sprach über die Lage in Palästina, die Christen in Libanon und die internationale Lage. Ihm zufolge ist die Situation sehr angespannt und gefährlich und die Welt stehe in Flammen. Die Ursache seien seiner Meinung nach die Kriege der USA und ihrer Vasallenstaaten, Europa und NATO.

Mein Fahrer für die Tage in Libanon ist ein "langjähriger, guter" Freund, den ich schon seit Jahren von meinen Reisen durch den Libanon und Syrien kenne. Er ist Anhänger der Amal-Partei und sein Bruder ist Bürgermeister von Markaba, der südlich gelegenen Grenzstadt gegenüber von Kfar Giladi in Israel. Seine Familie und er haben in verschiedenen Kriegen, vom Bürgerkrieg bis zu den israelischen Kriegen, sehr gelitten und wissen, wie israelische Gefängnisse aussehen! Leider konnte ich Markaba nicht besuchen, Tag und Nacht werden Raketen darauf abgefeuert und er erzählte mir, dass das Haus von seine Schwester Wafa beschossen worden sei. Zusammen hörten wir in seinem Auto die Nachrichten im Radio und die dramatische Situation in Markaba an.

Eine weitere (kleine) Gruppe in Libanon sind die Drusen, die, wie man sagt, eine von den Schiiten abgespaltene Gruppe sind, genau wie die Alawiten in Syrien. Die größte Gruppe lebt auf den von Israel besetzten Golanhöhen und im Gouvernement as-Suweida, in Südsyrien, aber auch in Libanon. Der politische Führer ist Walid Kamal Jumblatt, ein libanesischer, drusischer Politiker und ehemaliger Milizkommandeur, der die Progressive Sozialistische Partei (PSP) anführte. Die Drusen würden in Libanon manchmal die Rolle des Verräters spielen, wie aus vielen Gesprächen hervorgeht, die ich mit Mitgliedern der anderen Gruppen über sie und mit ihnen geführt habe. In Europa sagen sie, dass sie eine Minderheit sind und von der libanesischen und syrischen Regierung bedroht würden, was meinen Quellen zufolge natürlich nicht der Fall ist. Aber sie tun dies, um die Aufmerksamkeit des Westens auf sich zu ziehen, der proklamiert, die sogenannten Menschenrechte zu schützen, was sie nutzen, wenn es ihnen passt. Natürlich ist auch die finanzielle Situation von Bedeutung. Libanon ist ein armes Land. Es gibt sehr große Unterschiede zwischen Arm und Reich, aber jetzt unterstützen die Drusen nach ihren eigenen Worten auch die Palästinenser.

Die Gesamtheit der Libanesen sympathisiert mit den Opfern der israelischen Aggression gegenüber Gaza. Alle Gruppen sind sich einig, dass Israel das Problem ist. Die Israelis halten seit Jahren Teile Palästinas besetzt, das laut UNO ein offizielles Land ist. Am 15. Dezember 1988 wurde der Staat Palästina verkündet. Die Unabhängigkeitserklärung vom November 1988 wurde in der Generalversammlung mit der Resolution 43/177 anerkannt. Die aktuelle Situation in Palästina lässt sich mit Südafrika im vergangenen Jahrhundert vergleichen, als die Ureinwohner brutal unterdrückt wurden, es "Apartheid" gab, es schließlich unter Nelson Mandela befreit wurde, und die Palästinenser einen ebenso charismatischen Führer wie Yassir Arafat oder Abu Ammar hatten, wie er in der arabischen Welt genannt wird. Es heißt, er sei von Israel vergiftet worden, seine Popularität sei für Israel zu groß geworden!

Auch die arabische Welt, insbesondere Libanon und Syrien, hatte ihren charismatischen Führer: Qassam Soleimani, der überall im Libanon auf Plakaten zu sehen ist, insbesondere im Süden und in den schiitischen Vierteln Beirout und Saida (Sidon). Soleimani war ein Held, der zur Befreiung von Daesh (ISIS) in Syrien und Irak beigetragen hatte. Im Januar 2020 wurde der General iranischer Herkunft zusammen mit seinem Adjutanten, dem irakischen Kommandeur Abu Mahdi al-Muhandis, auf dem Flughafen von Bagdad, Irak, kaltblütig durch amerikanische Drohnen ermordet. Den Auftrag hatte der damalige US-Präsident Donald Trump erteilt.

Der aktuelle Held der Schiiten in Libanon, aber auch der Christen und wiederum großer Teile der arabischen Welt, ist der Anführer der Hisbollah, Sayed Hassan Nasrallah. Wenn er spricht, sieht der ganze Libanon fern oder verfolgt seine Reden auf Mobiltelefonen. Die Hisbollah ist für ihre Ehrlichkeit bekannt und viele Einwohner Libanons sind der Hisbollah dankbar, die sie 2006 befreit und den Feind vertrieben hatte. Nach dem letzten Krieg im Jahr 2006 unterstützte die Hisbollah viele Menschen mit Geld, baute Schulen und Krankenhäuser, was der libanesischen Regierung bis dahin nicht gelungen war. Ihre ethnische oder religiöse Herkunft wurde nicht berücksichtigt, allen wurde geholfen. Natürlich ist Nasrallah gut geschützt und es wurden bereits mehrere Attentate gegen ihn verübt. Am Freitag wird er nach einiger Zeit erneut sprechen, eine Rede, die von größter Bedeutung für die arabische Welt, aber auch für Israel und den Westen sein wird!

Die westliche Welt und Israel selbst versuchen, die arabische Welt in religiöse Gruppen zu spalten und sie so gegeneinander auszuspielen, so wie es im Irak und in Syrien geschehen ist, wo Daesh nach eigenen Angaben der Araber von den USA und Europa unterstützt wurde. Nach den blutigen Kriegen Israels im Libanon war die Hisbollah die erste Gruppe, die dies erkannt hatte. Die Hisbollah wird von Iran unterstützt, das ist allgemein bekannt. Aber auch die Hamas und alle anderen Gruppen in der arabischen Welt, die für die Befreiung Palästinas kämpfen, können auf die Unterstützung Irans zählen. Die Entscheidung für einen allgemeinen Dschihad gegen Israel, getragen von Schiiten, Christen und Sunniten, wurde 2017 auf einer Konferenz in Teheran getroffen, bei der alle Führer der relevanten Gruppen anwesend waren: Hamas, Hisbollah, Fatah, PLO, Gruppen aus Syrien, Irak und anderen Ländern. Ich war bei dieser Konferenz anwesend und zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Nahen Ostens war die arabische Welt nun im Kampf für die Befreiung Palästinas vereint.

Zu Beginn der Befreiung Palästinas am 7. Oktober 2023, wie die libanesische und die arabische Welt den Angriff nennen, wurden der Westen und natürlich Israel selbst vom professionellen Angriff der Hamas überrascht. Es kursieren wilde Theorien, dass die Hamas von Israel bezahlt wird und tatsächlich als "falsche Flagge" missbraucht wurde, wie es heißt. Warum will der Westen nicht glauben, dass die Hamas und andere Gruppen wie die Hisbollah hier im Libanon nicht länger die erbärmlichen Steine werfenden Palästinenser oder armen Libanesen sind? Es handelt sich um professionelle Milizen mit Drohnen, Spionagesoftware, die in die israelischen Geheimdienste eindringen können, was jahrelange Vorbereitung erforderte. Der Startschuss dafür fiel im Jahr 2017 in Teheran!

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