Meinung

Botschafter Netschajew: Der "Euromaidan" als ukrainische Tragödie

Vor zehn Jahren begannen die vom Westen großzügig geförderten regierungsfeindlichen Massenproteste in Kiews Stadtzentrum. Daran erinnert Sergei Netschajew, russischer Botschafter in Deutschland, in einem Gastbeitrag für "RT DE".
Botschafter Netschajew: Der "Euromaidan" als ukrainische TragödieQuelle: Legion-media.ru © Depositphotos

Von Sergei Netschajew

Am 21. November 2023 jährt sich der Beginn der regierungsfeindlichen Massenproteste in Kiews Stadtzentrum zum zehnten Mal. Die Ausschreitungen hatten tragische Konsequenzen sowohl für die Ukraine und das ukrainische Volk als auch für die regionale und internationale Stabilität insgesamt.

Der Protestrausch des vom Westen großzügig finanzierten "Euromaidan", der im Februar 2014 in einen verfassungswidrigen Staatsstreich mündete und radikale Kräfte an die Macht brachte, hatte eine stärkere Polarisierung der ukrainischen Gesellschaft zur Folge. De facto führte der Maidan zu einem Bürgerkrieg. Es kam zu einem maßlosen Nationalismus und Neonazismus, zu einer drastischen Zuspitzung der sozialen und wirtschaftlichen Situation sowie einer überbordenden Korruption und Gewalt.

Trotz aller Behauptungen, man fühle sich den Idealen der Demokratie, der Menschenrechte und Freiheiten verpflichtet, blies die ukrainische Regierung zur Jagd auf alle Andersdenkenden. Diese manifestierte sich in abwegigen Lustrationen, Drohungen, Verfolgungen und Morden. Aufgrund der sprachlichen Zugehörigkeit wurden innerhalb der ukrainischen Gesellschaft Gräben gezogen.

Die Diskriminierung der Rechte und Freiheiten der russischsprachigen Bevölkerung in den Bereichen Bildung und Kultur nahm nie dagewesene Formen an. Der militante ukrainische Chauvinismus wurde zur Staatspolitik erhoben. Verleugnet wurden die Grundfesten der Nachkriegsordnung: die Kollaborateure und Helfershelfer bei NS-Verbrechen wurden offiziell als Helden gefeiert, nach ihnen wurden Straßen und Prospekte benannt.

Zehn Jahre nach dem Maidan lässt sich mit Bitterkeit feststellen: Aus einem dynamischen und zukunftsgewandten Staat, der eine feste Brücke zwischen Europa und dem eurasischen Raum hätte sein können, hat sich die Ukraine zu einem geopolitischen Gebilde entwickelt, das von Streitigkeiten zerrissen ist, seiner Vergangenheit abgeschworen und seine Eigenständigkeit eingebüßt hat. Sein ganzer Sinn und Zweck ist die Konfrontation mit Russland, ganz im Sinne des kollektiven Westens, der eine "strategische Niederlage" unseres Landes kaum abwarten kann.

Es sei daran erinnert, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des "Kalten Krieges" die USA und ihre NATO-Verbündeten alle Schritte zurückgewiesen haben, die unser Land auf sie zugemacht hat. Der Westen hat seinen eigenen Zusagen, unter anderem mit Blick auf die Nichterweiterung der NATO, gebrochen. Moskau sollte gefügig gemacht und isoliert werden. Es galt, seinen Einfluss im postsowjetischen Raum einzudämmen. Unsere engsten Nachbarn wurden ausschließlich als gehorsame Randstaaten gesehen, als eine Art Cordon sanitaire, mit dessen Hilfe Russland weiter geschwächt werden sollte.

Besonderes Augenmerk galt dabei der Ukraine. Als entwickelte postsowjetische Republik mit immensen Industrie-, Agrar- und Forschungsmöglichkeiten hatte sie doch besonders enge historische Verbindungen, Handels- und Kulturbeziehungen zu unserem Land, ja ein schlichtweg verwandtschaftliches Verhältnis zu Russland. Wie der russische Präsident einmal deutlich machte, hätten die EU-Länder bei der Intensität der russisch-ukrainischen Zusammenarbeit vor dreißig Jahren nur neidisch werden können. Daher hat sich der Westen der Aufgabe verschrieben, die Ukraine von Russland wegzureißen und es zu einem neuen Integrationsniveau unserer Länder erst recht nicht kommen zu lassen.

Dazu wurde die innere ideologische Spaltung der Ukraine, die Käuflichkeit und verräterische Natur eines Teils der ukrainischen Elite genutzt, die übermütig glaubte, die Abkehr von Russland würde ihnen die Tür zu Wohlstand und Prosperität öffnen. Erste Bemühungen, die in diesem Sinne bereits 2004 unternommen wurden und zur "Orangenen Revolution" führten, währten jedoch nicht lange. Dennoch löste die rücksichtslose Einmischung des Westens eine akute politische Krise aus, die im weiteren Verlauf chronisch wurde und tragische Entwicklungen in der Ukraine herbeiführte.

Der unmittelbare Auslöser des "Euromaidan" war eine Entscheidung des damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, der im November 2013 die Unterzeichnung eines EU-Assoziierungsabkommens nicht einmal abgelehnt, sondern lediglich vertagt hatte. Der Plan war es, Konsequenzen für die Interessen Kiews und die ukrainischen Verpflichtungen gegenüber den GUS-Ländern abzuwägen. Gerade damals nutzten westliche Politiker die Verärgerung der Ukrainer über die Fehler der eigenen Regierung in zynischer Weise aus, frei nach dem Motto: "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns." Von da an wurde ein gewaltsamer Machtwechsel vorangetrieben.

Die Gewalt hätte vermieden werden können. Dazu hätte das Abkommen zwischen Präsident Janukowitsch und den damaligen Oppositionsführern umgesetzt werden müssen, das im Februar 2014 zur Lösung der politischen Krise in der Ukraine unter Vermittlung Deutschlands, Frankreichs und Polens unterzeichnet wurde. Dieses Dokument sah eine "Regierung des Volksvertrauens", eine Verfassungsreform und vorgezogene Wahlen vor. Das friedliche Szenario entsprach aber nicht den Interessen der USA als Hauptsponsor des Maidan.

Die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, als es in Kiew zu einem verfassungswidrigen Umsturz unter russlandfeindlichen Parolen kam. Als die EU-Garanten schnell eingesehen haben, wohin der Wind weht, haben sie die eigenen Vermittlungsbemühungen verleugnet und die Ergebnisse des Putsches eiligst akzeptiert. Von nun an unterstützten sie aktiv die antirussische Politik des neuen Regimes. Gegenwärtig lässt sich mit Sicherheit sagen, dass gerade die destruktive Rolle, die der Westen bei der Unterstützung der Putschisten gespielt hat, zu einer drastischen Polarisierung der ukrainischen Gesellschaft geführt und Voraussetzungen für einen großangelegten Bürgerkonflikt geschaffen hat. Dieser wuchs sich dann zu einer militärischen Konfrontation aus.

An diesem Kurs hielt der Westen auch später noch fest. Der Westen brauchte keinen Frieden in der Ukraine. Kiew missachtete demonstrativ die Minsker Vereinbarungen, die als alternativlose Grundlage für eine innerukrainische Lösung durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates untermauert wurden. Deutschland und Frankreich, die als Mitautoren und Ko-Sponsoren des Friedensprozesses fungierten, haben konsequent unsere Appelle überhört, bei der Ukraine Druck zu machen und sie zur Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu bewegen. Im Nachhinein räumten die inzwischen ehemaligen Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs ein, dass die Minsker Vereinbarungen nur nötig gewesen seien, um Zeit zu gewinnen, die Streitkräfte der Ukraine zu ertüchtigen und auf eine unvermeidliche militärische Konfrontation vorzubereiten.

Auch heute noch wird in der Ukraine ein aggressiver und schonungsloser Krieg gegen die eigene Kultur, Geschichte und Erinnerung geführt. Es wird Hass gegen alles Russische geschürt. Jeder Ukrainer, der sich anmaßt, auf Russisch zu denken und zu sprechen, russische Bücher zu lesen und russische Lieder zu singen, wird zum Feind erklärt. Die russisch-orthodoxe Kirche wird diskriminiert. Es werden Denkmäler abgerissen, Bücher verboten, unverhohlen Nazi-Parolen gerufen und Nazi-Symbole gezeigt.

Wie der russische Präsident Putin deutlich machte, kann dieses "Anti-Russland"-Projekt nur bestehen, wenn Bilder innerer und äußerer Feinde aufrechterhalten werden, und das unter der Schirmherrschaft der westlichen Mächte. Wir werden es nie zulassen, dass in der Ukraine der Nazismus floriert und unser Brudervolk von den westlichen Strippenziehern gegen Russland missbraucht wird. Der Westen sollte sich das ganz genau merken.

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