Meinung

Springer-Chef Döpfner – und wie man aus dem Zweiten Weltkrieg die falschen Lehren zieht

Spätestens seit dem Beginn der russischen Militäroperation sind Verdrehungen der Geschichte im Westen ganz groß in Mode, wie man jüngst im kanadischen Parlament sehen konnte. Und jetzt meint Springer-Chef Döpfner, was die Israelis in Gaza machten, wäre wie die Befreiung Deutschlands 1945.
Springer-Chef Döpfner – und wie man aus dem Zweiten Weltkrieg die falschen Lehren ziehtQuelle: www.globallookpress.com © Jörg Carstensen

Von Dagmar Henn

Von wegen Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg. Es scheint, dass nicht nur die Politiker, sondern auch die Medienvertreter an dieser Stelle kollektiv den Unterricht geschwänzt haben. Ein besonders deutliches Beispiel lieferte jetzt der Vorstandsvorsitzende der Springer AG, Mathias Döpfner, in einem Kommentar in der Welt. Zum Thema Israel/Palästina.

Nicht nur, dass er mit seiner Schlagzeile "Free Palestine", befreit Palästina, ausgerechnet die Mischung aus Bombenterror und Vertreibung meint, die gerade seitens der israelischen Armee betrieben wird, er meint auch, sich dafür auf den Zweiten Weltkrieg berufen zu können.

"Palästina muss von seinen diktatorischen Machthabern befreit werden wie Deutschland im Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten. (…) Auf den Zeitgeist verwirrter Aktivisten, die von gezielter Propaganda auf TikTok und anderswo manipuliert sind, dürfen verantwortungsvolle Politiker keine Rücksicht nehmen. Sie müssen entscheiden zwischen (Völker-)Recht und Ordnung oder Unrecht und Genozid. Es gibt in diesem Terrorkrieg Täter und Opfer. Neutralität oder Kompromisse kann es dabei nicht geben. Das stärkt nur die Täter."

Machen wir doch einmal die Rechnung auf. Döpfner hält es für legitim, für die von der Hamas ermordeten Israelis das Vielfache an Palästinensern zu opfern, weil sie vermeintlich von der Hamas und nicht von der israelischen Besatzung befreit werden müssten.

Das kommt davon, wenn man immer nur die westlichen Alliierten im Blick hat, die einerseits die wenigsten Opfer zu verzeichnen hatten, andererseits aber mit ihren Flächenbombardements wie in Dresden oder Hamburg selbst Kriegsverbrechen in Kauf nahmen.

Schauen wir einmal nach, was nach einer solchen "Befreiung", wie sie sich Döpfner vorstellt, von Deutschland übrig geblieben wäre. Die Zahl der palästinensischen Opfer liegt mittlerweile grob beim Siebenfachen der ermordeten Israelis, also sehen wir einmal nach, was ein solches Vorgehen für Deutschland bedeutet hätte.

In der Sowjetunion wurden 1.100 Städte und 70.000 Dörfer zerstört und 27 Millionen Sowjetbürger kamen ums Leben. Mit sieben multipliziert wären das 7.700 Städte, 490.000 Dörfer und 189 Millionen Tote.

Nun, im Deutschen Städtetag sind 3.200 Städte Mitglied. Die Einwohnerzahl Deutschlands liegt heute bei 83 Millionen. Es ist unschwer zu erkennen – hätte sich die Rote Armee so verhalten, wie sich die israelische heute verhält, es gäbe nicht nur keine deutschen Städte und Dörfer mehr, es gäbe auch keine Deutschen.

Die Rote Armee hat sich aber mitnichten so verhalten. Sie hat sich nach ihrem Sieg um die Ernährung der deutschen Bevölkerung gekümmert, übrigens weitaus gründlicher als die Westalliierten, weshalb auf sowjetisch besetztem Gebiet auch keine Künstler verhungert sind wie etwa der Münchner Karl Valentin. Sie hat eben keine Rache genommen, und die Befreiung der Deutschen nicht als Befreiung von ihrem irdischen Dasein gedeutet.

Es gäbe unzählige Details hinzuzufügen, an denen Döpfner völlig verkürzt; er sollte sich etwa einmal mit der Geschichte der Moschee in München-Freimann beschäftigen, und der Verbindung zwischen dem Amt Rosenberg der Nazis und den Muslimbrüdern. Geschichte ist oft ein klein wenig komplexer, als es die augenblicklichen Schlagzeilen hergeben.

Aber die Sache mit der Vergeltung ist ganz einfach. Die Lektion aus dem Zweiten Weltkrieg lautet: Menschlichkeit ist nur möglich, kann nur siegen, wenn alle Menschen gleichermaßen geachtet werden. Und es sollte uns Deutschen eine Verpflichtung sein, dass die sowjetischen Truppen diesem Grundsatz gefolgt sind, und nicht jenem, den Döpfner vorschlägt.

"Wenn Israel fällt, sind die freien, also "ungläubigen" Gesellschaften in Europa und Amerika die nächsten Ziele", schreibt Döpfner. Wenn das, was er schreibt, für diese vermeintlich "freien Gesellschaften in Europa und Amerika" steht, dann haben sie es verdient, zu fallen.

Es ist erstaunlich, wie eifrig Grundprinzipien der Humanität geopfert werden. Aber wie in der letzten historischen Phase, in der sich solche Haltungen verbreiteten, gibt es auch heute die Anderen, die Stimmen, die dagegen halten, die auf Menschlichkeit bestehen und sich für sie einsetzen. Zum Glück wird selbst einer wie Döpfner, so reich und mächtig er als Chef und Mitbesitzer eines der großen deutschen Medienkonzerne auch ist, die Geschichte nicht aufhalten können.

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