Meinung

Karin Kneissl: Die Aktuelle Politjustiz und ihre Ursachen

Ob Donald Trump in den USA, Pakistans Ex-Präsident Imran Khan oder der anhaltende Krieg gegen den Terrorismus – eines ist allen gemeinsam: Das Prinzip der Unschuldsvermutung löst sich auf.
Karin Kneissl: Die Aktuelle Politjustiz und ihre UrsachenQuelle: www.globallookpress.com © Rod Lamkey - CNP/Consolidated News Photos

Von Dr. Karin Kneissl

Binnen weniger Tage wurden zwei ehemalige Staatspräsidenten vor Gericht gestellt. Imran Khan wurde in Pakistan ohne Anhörung von Zeugen wegen des Verkaufs von Gastgeschenken während seiner Amtszeit 2018–2022 zu drei Jahren Haft verurteilt. Für politische Ämter im Atomstaat Pakistan mit einer Bevölkerung von über 230 Millionen Menschen zu kandidieren, ist ihm ebenso untersagt. Damit kann er bei den kommenden Wahlen im Herbst nicht antreten. Eine Menschenrechtsorganisation spricht von "lawfare". Dabei handelt es sich um eine Kombination der englischen Worte "warfare" (Kriegsführung) und "law" Gesetz.

Einen Tag vor Khan wurde Trump vor einem Gericht in Washington mit neuen Anschuldigungen konfrontiert, die es in sich haben. Ihm werden rund um den Sturm auf das Kapitol Anfang des Jahres 2021 Straftatbestände vorgehalten, die an terroristische Handlungen grenzen. Dazu gehört der Vorwurf der Verschwörung. Warum für die Anklage fast drei Jahre gebraucht wurden, fragt man sich. Trump, der vorerst aussichtsreiche Kandidat der Republikaner, könnte im Falle einer Verurteilung in Berufung gehen und dann im November 2024 erst recht gewinnen. Kämpferisch gibt sich der alte Haudegen jedenfalls. Die Vorverurteilung des Lieblingsfeinds der Redaktionen erfolgt nicht nur von medialer Seite, sondern auch auf politischer Ebene, wie die Aussagen führender Amtsträger der Demokraten zeigen. Trump und seine Anhänger verwenden den Begriff der "weaponization of justice", also den Einsatz der Justiz als Waffe. Dies geht weit über das Wort Instrumentalisierung hinaus.

Im Fall des Julian Assange, der nach Jahren in den Räumen der Londoner Botschaft Ecuadors in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis auf seine mögliche Auslieferung in die USA wartet, spricht der UNO-Sonderberichterstatter für Folter eindeutig von Folter. Die Vorverurteilung des Aufdeckers von US-Kriegsverbrechen ist massiv. Etablierte Redakteure setzen sich nicht für ihn ein. Erst jetzt beginnt Australien, sich für seinen Staatsbürger zu engagieren, doch die USA blocken jede konsularische Intervention ab. Aus US-Sicht hat der Journalist Hochverrat begangen, was ein völlig absurder Vorwurf ist.

Wir bewegen uns in vielen westlichen Gesellschaften schon lange nicht mehr auf dem Feld des Rationalen. Die Irrationalität greift so massiv um sich, wie ich auch am eigenen Leib in den letzten Jahren erlebte, dass die Frage nach dem Warum ins Leere läuft. Logische Argumente haben ausgedient, ein totalitäres Lagerdenken breitet sich in der gesamten sogenannten nordwestlichen Atmosphäre aus.

Schuldig bis Unschuld bewiesen

In diesen drei prominenten Fällen wird eines klar: Anders als in der Magna Carta aus dem Jahre 1215 definiert, gilt man im Jahre 2023 nicht mehr als "unschuldig, bis die Schuld bewiesen" ist. Das Konzept der Unschuldsvermutung ist theoretisch als Grundprinzip des Strafprozessrechts verankert. Es waren die englischen Adeligen, die im Machtkampf mit dem König dieses und viele weitere Prinzipien aushandelten. Dieses Dokument des "großen Briefs", der im so gar nicht dunklen, sondern vielmehr weltoffenen Mittelalter geschaffen wurde, legte so manche Grundlage für spätere Verfassungen und Grundrechte, von der Französischen Revolution bis hin zu den großen Deklarationen und Konventionen der Menschenrechte der UNO.

Mit dem Beginn des Kriegs gegen den Terrorismus, den der damalige US-Präsident George W. Bush im Schatten der Anschläge des 11. Septembers 2001 erklärte, wurde dieses Strafrechtsprinzip der Unschuldsvermutung systematisch auf den Kopf gestellt. Zudem wurde auch der völkerrechtlich geschützte Status des Kriegsgefangenen durch den US-Begriff des "feindlichen Kämpfers" ersetzt. Letzterer verfügt über keine Rechte mehr.

Das Straflager von Guantánamo ist zum Symbol dieser US-Politik der Zerstörung des Strafrechts geworden. In über zwei Jahrzehnten ist es keiner US-Regierung gelungen, dieses Lager zu schließen, die dort willkürlich gefangenen Menschen vor ein ordentliches Gericht zu stellen und im Fall des Freispruchs Entschädigungen für die Jahre der Folter und des Freiheitsentzugs zu zahlen.

Der Bumerang

Es ist vielleicht eine Ironie der Geschichte, dass diese völlig rechtswidrige Praxis nunmehr auch die USA selbst zunehmend erfasst. Gefährlich ist, dass die Justiz als unabhängige Gewalt im Gleichgewicht von Exekutive, also der Regierung und Verwaltung, sowie der Legislative, also des Kongresses beziehungsweise der Parlamente, versagt. Diese Politisierung von Gerichtsverfahren, mit denen vermeintlich politische Gegner moralisch und angesichts immenser Anwaltskosten auch finanziell vernichtet werden, ist kein Spezifikum der USA.

In Frankreich wurde der einstige Premier Dominique de Villepin unter Staatspräsident Nicolas Sarkozy rund um ein dubioses Waffengeschäft mit Pakistan, einem der Vorgänger von Khan, strafrechtlich belangt. Sarkozy ist indes seinerseits wegen Wahlkampfkosten strafrechtlich verurteilt. In Österreich wurde ein ehemaliger Vizekanzler in mehreren Prozessen letztlich freigesprochen, aber wirtschaftlich ruiniert.

Die Grundlagen des Rechtsstaates, wie ihn der französische Rechtsphilosoph Charles de Montesquieu in seinem Grundsatzwerk "Vom Geist der Gesetze" als Ideal entwarf, sind einmal mehr tief erschüttert. Das Verfahren gegen Khan kann vorerst zu schweren Unruhen in Pakistan führen, denn die Anhängerschaft des charismatischen Khan ist groß. Von denen, die meinen, auf der "richtigen Seite der Geschichte" zu stehen, wird ihm zudem "Nähe zu Russland" vorgeworfen. Bekanntermaßen ist dies das Totschlagargument, um jede politische Laufbahn in unserer Zeit zu beenden. Ähnlich verhält es sich mit Trump, auch wenn sämtliche Anschuldigungen zu einer "Russland Verbindung" seither ausgeräumt wurden.

Der Trump-Prozess ist explosiv, denn jede Aussage vor Gericht wird zur Wahlkampfansage. Trump könnte gestärkt aus diesem Verfahren in erster Instanz – ob verurteilt oder schuldig gesprochen – hervorgehen. Die nachfolgenden internen gesellschaftlichen Umbrüche können für das US-System zur völligen Zerreißprobe werden. Jetzt bereits bleibt der Rechtsstaat auf der Strecke. War in der Vergangenheit stets die Frage, wer sich den besten Anwalt leisten kann, so zerbröckelt gegenwärtig eine Struktur von Normen, die unsere Gesellschaften seit bald einem Jahrtausend entwickelt haben. Eine Gesellschaft steht und fällt mit ihren Rechtsgrundlagen.

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