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"Wir hatten noch Glück" – Ukrainische Kämpfer über das Scheitern der Gegenoffensive

Nach öffentlichen Eingeständnissen von General Saluschny über das Scheitern der Sommerkampagne melden sich Soldaten und Offiziere des ukrainischen Militärs mit weiteren Einzelheiten zu Wort. Sie kritisieren ihre Vorgesetzten, den Westen und weisen auf systemische Probleme hin.
"Wir hatten noch Glück" – Ukrainische Kämpfer über das Scheitern der GegenoffensiveQuelle: AFP © Anatolii Stepanov

Von Sachar Andrejew

"Auf die Krim zur Hochsaison"

Der ukrainische Operator von Aufklärungsdrohnen mit dem Funknamen Rjadowoi Schutnik ("Private Joker") hat auf X berichtet, dass die russischen Stellungen vor der Offensive eine Woche lang unter massives Artilleriefeuer genommen wurden. Auf 20 ukrainische Geschosse hätten die Russen mit einer Mine geantwortet, behauptet er.

"Man gab uns zu verstehen, dass wir sehr viele Geschosse im Kaliber 82 und 120 Millimeter und praktisch eine unbegrenzte Menge an 155-Millimeter-Geschossen haben", schreibt der Kämpfer.

Der Plan der Führung wurde den Soldaten zwei Tage vor dem Angriff erklärt. Kiews Militär hätte innerhalb von zwölf Stunden um fünf bis zehn Kilometer vorrücken sollen. Binnen eines Tages sollte die erste Verteidigungslinie durchbrochen, Rabotino und Nowopokrowka umgangen und ein Brückenkopf für weitere Brigaden vorbereitet werden, die die Stadt Tokmak erobern sollten.

"Auf unsere Frage: 'Was, wenn etwas schiefläuft?' antwortete man uns: 'Das Kommando hat einen Plan B'", fügt der Kämpfer hinzu. In Wirklichkeit habe es aber keinen solchen Plan gegeben.

Die Gründe für das Scheitern der Offensive liegen nach Meinung des Soldaten in den Minenfeldern und der Zerstörung des Damms des Wasserkraftwerks von Kachowka, die "alles durcheinander brachte."

Ein anderer Kämpfer, der unter dem Decknamen Arty Green auftritt, merkt an, dass das ukrainische Militär von vornherein "keine Chancen" gehabt habe. Allerdings habe Kiew die Lage nicht realistisch einschätzen können, erklärt er.

"Als wir uns auf die Offensive vorbereiteten, hatten die Offiziere und alle anderen, außer denjenigen, die Zugang zu streng geheimen Aufklärungsdaten hatten, keine Ahnung von den Ressourcen des Gegners. Wir verstanden einigermaßen, was bei uns passiert, welche Korps und Brigaden aufgestellt werden. Über die russischen Truppen wussten wir nichts. Dafür erschien im Fernsehen oft Budanow (Chef des ukrainischen Militärgeheimdiensts) und verkündete, dass bei den Russen alles schlecht laufe, wir aber noch zur Hochsaison auf die Krim kommen würden", erinnert er sich.

Offensichtlich habe das ukrainische Kommando Russlands Möglichkeiten unterschätzt. Die Verbündeten hätten das ukrainische Militär indessen "vorgeführt", als sie die notwendigen Waffen nicht lieferten.

Green kommt zu einer paradoxen Schlussfolgerung: Die ukrainische Armee habe Glück gehabt, dass der Vorstoß zum Asowschen Meer nicht gelungen sei.

"Gott sei Dank, dass wir nicht alle Kräfte im Süden konzentrierten, wie es von den westlichen Verbündeten empfohlen wurde. Denn bei dem Kräfteverhältnis zwischen Russland und uns würde ein Durchbruch großer Kräfte für uns böse enden", meint er.

"Fleischstürme" und "Fleischverteidigung"

In seinem Artikel in The Economist behauptete Saluschny:

"Das Wertvollste, was wir haben, sind unsere Leute."

Bei den Kämpfern entstand indes ein ganz anderer Eindruck: Diejenigen, die auf den Straßen der ukrainischen Städte eingefangen und in den Militärdienst gepresst werden, sind bloß Verbrauchsmaterial.

Sergei Gnesdilow, ein ukrainischer Militärangehöriger und Fernsehmoderator, berichtet: Die 47. Brigade, welche die Offensive im Gebiet Saporoschje begann, blutete schnell aus, genauso wie alle anderen ukrainischen Infanterieverbände.

"Diejenigen Spezialisten, die noch vor anderthalb Jahren da waren, gibt es nicht mehr. Sie sind entweder völlig demotiviert, oder kriegsmüde, oder tot", betont er.

Der Kämpfer der 110. Brigade, Dmitri Gorban, mit dem Funknamen Franzus ("Franzose") sagt, dass die Offiziere keine Rücksicht auf Personalverluste nähmen. Die Soldaten würden in "Fleischstürme" – Angriffe ohne Artillerieunterstützung und Aufklärung – geschickt und zu "Fleischverteidigungen" gegen eine russische Übermacht gezwungen.

"Solange die Verluste nicht 70 Prozent erreichen, wird niemand einen Rückzug erlauben", fügt er hinzu.

Seinen Angaben zufolge gelte ein Kompanieführer als "gut, wenn seine Einheit tatsächliche physische Verluste erleidet." Als normal gälten 60 bis 80 Gefallene pro Monat. Gerichtliche Überprüfungen drohten den Kommandeuren im Fall eines Massensterbens von Soldaten nicht.

"Zwischen dem 5. und 6. August verheizte unser Bataillonskommandeur binnen acht Stunden 350 Mobilisierte. Dabei hätte man sich nur ein wenig zurückziehen, umgruppieren, günstigere Stellungen beziehen können", berichtet ein Angehöriger der 56. Brigade mit dem Funknamen Russki ("Russe").

Dieser Offizier habe die Soldaten mit Schlägen und Erschießungsdrohungen in die Schützengräben getrieben. "In jeder Kompanie gibt es 'Presszellen' (ursprünglich ein Begriff aus dem Gefängnisjargon, der Zellen bezeichnet, in denen Gefangene durch Misshandlungen durch andere Insassen zu bestimmten Aussagen oder Handlungen gezwungen werden sollen – Anm. der Redaktion). Wenn du beispielsweise in der ersten Kompanie dienst und nicht kämpfen willst, kommst du in die 'Presszelle' der zweiten Kompanie. Aus der zweiten in die dritte und so weiter", führt er aus.

Auch Kriegsgefangene sind über die hohen Verluste empört. Wie der Soldat Iwan Matwienko der Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete, waren von 48 Männern aus seiner Einheit, die Rabotino angegriffen hatte, nach drei Tagen nur noch fünf am Leben. Für den Sturm wurden sie nur einen Monat lang ausgebildet und ohne Aufklärung in den Kampf geschickt.

"Ein Geschoss gegen fünf"

Nach Meinung von Rjadowoi Schutnik werde es keine ukrainische Offensive mehr geben, zumindest nicht in solcher Stärke und solchem Ausmaß.

Arty Green prognostiziert, dass das ukrainische Militär in die Defensive gezwungen wird. Um die Verluste zu minimieren, werde es sich von ungünstigen Stellungen zurückziehen müssen. Dazu zählten auch solche, die im Sommer und während der sogenannten Charkower Offensive im September 2022 erobert wurden.

"Wir werden sowohl den Brückenkopf am linken Ufer des Flusses Tschorny Scherebez als auch möglicherweise den am linken Ufer des Oskol aufgeben müssen", erklärt er.

Nun würden sich die Kämpfe ändern. Die ukrainische Überlegenheit bei der Artillerie habe sich aufgelöst, man müsse Munition sparen.

"Am Höhepunkt der Offensive, und sogar noch vor wenigen Monaten, war das Kräfteverhältnis zwischen unserer Artillerie und der russischen meist eins zu eins oder stand gar zu unseren Gunsten. Jetzt feuern wir auf alle vier oder fünf russischen Geschosse ein Geschoss ab", räumt ein ungenannter Artilleriebeobachter in einem Interview für die BBC ein.

Indessen schlagen Russlands Streitkräfte laut offiziellen Meldungen nicht nur ukrainische Angriffe zurück, sondern rücken auch selbst vor.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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