EU-Rat tagt erstmals in Kiew: Plötzlicher Geiz bei neuen Geldhilfen an Ukraine
Von Elem Chintsky
Am vergangenen Montag wurde der Rat der Europäischen Union erstmals in seiner Geschichte außerhalb des EU-Territoriums einberufen.
Dabei entsandten fast alle EU-Mitglieder ihre Chefdiplomaten in die ukrainische Hauptstadt. Vier für die Ukraine nicht wirklich unwichtige Länder sandten niedrigere Vertreter ihrer Außenministerien aus – darunter Polen, Lettland, Ungarn und Schweden.
Der ukrainische Präsident war sich der signifikanten Symbolik durchaus bewusst, und nahm die Gelegenheit wahr, eine nicht selbstverständliche Prognose aufzustellen:
"Dieser Rat wurde zum ersten Mal außerhalb der Europäischen Union in einem solchen Format organisiert. Aber formell ist er außerhalb der Grenzen [der Europäischen Union]. Wir alle wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Ukraine Mitglied der EU wird. Das Treffen fand also eigentlich schon in der EU statt."
Der EU-Chefdiplomat Josef Borrell war ebenfalls in Kiew anwesend – mit einem konkreten Plan für weitere Finanzunterstützung für die Ukraine:
"Ich habe ein neues bilaterales mehrjähriges militärisches Hilfspaket [für die Ukraine] aus dem Europäischen Friedensfonds in Höhe von bis zu fünf Milliarden Euro für das nächste Jahr vorgeschlagen."
Borrell musste jedoch noch am selben Tag mit einer vorübergehenden Niederlage konfrontiert werden, denn zu einer Einigung unter den EU-Mitgliedsstaaten über diese neue Geldhilfe an das Kiewer Regime für das gesamte Jahr 2024 kam es nicht. Der EU-Chefdiplomat äußerte dazu folgende Zuversicht:
"Ich hoffe, dass wir bis zum Ende dieses Jahres eine Einigung darüber erzielen können, wenn wir Änderungen am mehrjährigen EU-Haushalt vereinbaren."
Ob die zu dieser neuen Finanzspritze ausgelöste Dissonanz innerhalb der EU-Regierungen etwas damit zu tun hat, dass "fünf Milliarden Euro noch zu wenig sind" kann beim jetzigen Zustand der EU-Wirtschaft sichtlich bezweifelt werden. Für die mittlerweile zögerliche Ratio der europäischen Eliten innerhalb ihrer Außenministerien scheint eher das Gegenteil davon maßgebend zu sein.
Laut dem Leiter der EU-Diplomatie sollen die konkreten Ziele des Hilfsbudgets – falls doch genehmigt – Investitionen in die ukrainische Verteidigungsindustrie, die Ausbildung von 40.000 ukrainischen Militärangehörigen sowie "die Minenräumung und die Bekämpfung der russischen Desinformation" umfassen.
Die USA sind der materiell größte Finanzierer des Kiewer Regimes. Laut dem Center for Strategic and International Studies (CSIS) hat Washington D.C. in den letzten eineinhalb Jahren der Ukraine um die 113 Milliarden US-Dollar (Stand: Juli 2023) an militärischer, finanzieller und wirtschaftlicher Hilfe zukommen lassen. Im Schnitt sind das bisher 6,65 Milliarden US-Dollar monatlich gewesen. Borrells Vorschlag von fünf Milliarden Euro für das ganze Jahr 2024 müssten besonders die Ukrainer selbst nüchtern im Kontext der EU-Prioritäten beurteilen.
Aber auch in den Vereinigten Staaten – nur noch ein Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen, mit vielen innenpolitischen Herausforderungen – verstärkt sich der politische Wille merklich, hinter den Kulissen die Alimentierung der heutigen Ukraine so unauffällig wie möglich zurückzufahren.
In diesem Licht ist die jüngste EU-Debatte um die "fünf Milliarden Euro für das gesamte Jahr 2024" (rund 417 Millionen Euro monatlich) für die Ukraine dann doch eher ein Armutszeugnis: Allein 3,5 Milliarden US-Dollar an Geldhilfen sind mindestens vonnöten, um die Staatlichkeit der Ukraine monatlich halbwegs über Wasser zu halten.
Dass die EU-Führung die öffentliche Wahrnehmung eines eigenen Zenits der "Solidarität mit der Ukraine" weiterhin generieren möchte, ist verständlich. Aber diese Art Summen – und dazu auch noch in der zurzeit ohnehin ungewissen Schwebe – sprechen eher von einer kontrollierten, auf Raten veranstalteten und durchaus notgedrungenen Abkopplung vom "Projekt Ukraine" – viel mehr, als dass sie von einer dynamischen Finanzrampe zeugen würden, die hinein in eine – laut Selenskij – baldige EU-Mitgliedschaft Kiews führen würden.
Nicht zuletzt ist das definiert durch die europaweite und deutsche Rezession sowie die allgemeine Deindustrialisierung des europäischen Staatenbundes. Allesamt sind sie auf die unnatürliche, antiintuitive, trotzige und energiepolitisch-wirtschaftliche Abschottung der EU von Russland im Rahmen des moralisierenden, selbstgefälligen und geschichtsvergessenen Sanktionsfiebers seit Frühjahr 2022 zurückzuführen.
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Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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