Libanon: Nach den Parlamentswahlen herrscht eine Pattsituation
eine Analyse von Karin Leukefeld
Die Parlamentswahlen im Libanon haben erneut zu einer Pattsituation geführt. Sitze hinzugewonnen hat die Partei der Libanesischen Kräfte (LF), für die 18 Sitze gezählt wurden. Die christlich-maronitische Partei ist politisch am äußersten rechten Rand angesiedelt und wird von einem verurteilten Kriegsverbrecher, Samir Geagea, geführt. Die Hisbollah konnte ihren Anteil an Abgeordneten im Parlament geringfügig auf 13 ausbauen.
Größter Gewinner waren "unabhängige" Kandidaten, die im neuen Parlament voraussichtlich 13 Sitze einnehmen werden. Verschiedene Quellen bezeichnen sie als "Kandidaten der Zivilgesellschaft", die mit bis zu 16 Kandidaten in das Parlament eingezogen seien.
Sitze verloren hat die Freie Patriotische Bewegung (FPB), deren Abgeordnete von 29 auf 22 sank, und die Amal, die zwei Sitze verlor. Die Partei des Drusenführers Walid Dschumblat verlor einen Sitz, verschiedene kleinere Parteien, die – im Bündnis mit größeren Parteien – bisher nur mit einem oder zwei Abgeordneten im Parlament vertreten waren, verloren ebenfalls, während andere kleinere Parteien in das Parlament einzogen.
Der größte Verlierer der Parlamentswahl war abwesend. Die sunnitisch-muslimische Zukunftspartei (Mustaqbal) von Saad Hariri war Anfang des Jahres überraschend aufgelöst worden. Hariri, der wiederholt Ministerpräsident des Landes war, zog sich in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Abu Dhabi zurück. Von dort rief er zum Boykott der Wahlen auf, viele seiner Anhänger folgten.
Die landesweite Wahlbeteiligung war mit 41 Prozent deutlich niedriger als bei den Wahlen 2018, als 49 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben. Besonders niedrig war die Wahlbeteiligung bei den sunnitischen Muslimen, die nach der Auflösung der Mustaqbal-Partei von Hariri orientierungslos schienen. Bei den schiitischen Muslimen war die Wahlbeteiligung dagegen mit durchschnittlich 50 Prozent sehr hoch.
Das konfessionelle politische System
Das konfessionelle politische System – eine Hinterlassenschaft der französischen Mandatsmacht – mit 18 Religionsgemeinschaften im Libanon macht die Wahlen kompliziert, das derzeitige Wahlgesetz sorgt zusätzlich für Ungleichheit. Die drei größten Religionen – Christen, sunnitische Muslime, schiitische Muslime – teilen sich demnach die politischen Ämter auf. Präsident ist ein maronitischer Christ, Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim, Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim. Gewählt werden diese Posten sowie die Regierung vom Parlament. Die 128 Parlamentssitze stehen zu 50 Prozent den libanesischen Christen zu, zu 50 Prozent den libanesischen Muslimen, Sunniten und Schiiten.
Real entspricht dieser Proporz nicht mehr der konfessionellen Verteilung der libanesischen Bevölkerung. Nur knapp 30 Prozent der Libanesen sind Christen unterschiedlicher Kongregationen, gefolgt von sunnitischen und schiitischen Muslimen, die jeweils plus minus 35 Prozent der Bevölkerung stellen. Beobachtern zufolge liegt dabei die Zahl der schiitischen Muslime etwas höher als die der sunnitischen Muslime. Einen Zensus, der das genauer feststellen könnte, gab es im Libanon zuletzt 1932.
Einmischung von außen
Was in Deutschland vermutlich zu einer Protestnote wegen "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" oder der Einbestellung der Botschafter geführt hätte, war für die deutschen und französischen Botschafter im Libanon im Vorfeld kein Problem. Die französische Botschafterin Anne Grillo forderte die Libanesen auf, wählen zu gehen, um ihre Rechte und Erwartungen an das Parlament zu verteidigen. Die Libanesen hätten "Gelegenheit für diejenigen zu stimmen, die sie im Parlament vertreten" sollten, sagte Grillo in einer Erklärung an ihre "libanesischen Freunde".
Auch der deutsche Botschafter Andreas Kindl in Beirut wandte sich per Twitter an seine "libanesischen Freunde" und erinnerte, dass der Wahltag "wichtig für die Zukunft Eures Landes" sei. "Libanesische Frauen! Libanesische Ehemänner, Väter von Töchtern, Brüder von Schwestern", schrieb Kindl am Vortag der Wahlen. "Nutzen Sie Ihre Vorzugsstimme, um weibliche Kandidaten zu unterstützen! Wählen Sie diejenigen, die die Nöte, Interessen und Forderungen der Frauen verstehen! #WähltGleich #WähltdenWandel#", hieß es auf dem Twitter-Account des deutschen Botschafters in Beirut.
Das libanesische Wahlrecht sieht vor, dass Wähler eine Liste und – mit einer Vorzugsstimme – eine einzelne Person dieser Liste wählen können.
Weitere Entwicklung unklar
Unmittelbar nach Bekanntgabe der Namen der gewählten neuen Abgeordneten begann eine Debatte über den Posten des Parlamentssprechers, der traditionell den schiitischen Muslimen zusteht und seit Jahren im Einverständnis an den Amal-Vorsitzenden Nabih Berri geht.
Der Vorsitzende der Libanesischen Kräfte Samir Geagea, der selbst nicht kandidiert hatte, sondern seiner Ehefrau den Vortritt ließ, polarisierte und erklärte, er werde dafür sorgen, dass Berri nicht Parlamentssprecher werde. Einige der "Unabhängigen" stimmten den Medienberichten zufolge zu.
Der Parlamentsblock "Loyalität gegenüber dem Widerstand" der Hisbollah kam am Mittwoch zu seiner ersten Versammlung zusammen und forderte die "konkurrierenden politischen Kräfte" auf, den "Wahlkampf zu beenden". Man müsse unverzüglich mit der Arbeit beginnen, um die "schlimme Situation der Bürger zu lindern und der sich verschlechternden Lage des Staates und seiner Institutionen" anzunehmen. Man strecke die Hand für eine gute Kooperation aus, hieß es in der Erklärung. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah wandte sich am Mittwochabend über den Fernsehsender Al Manar an die Öffentlichkeit.
Keine Mehrheit im Parlament
Mehrheitsentscheidungen in der libanesischen Politik sind schwer zu erreichen. Sie werden nicht nach politischen Programmen, sondern nach religiöser Zugehörigkeit geschaffen, was ein Höchstmaß an Kompromissfähigkeit voraussetzt. Keine der Parteien und Allianzen im neuen Parlament verfügt über eine Mehrheit. Die sunnitischen Muslime sind mit keiner Partei mehr vertreten. Zu befürchten ist, dass – wie schon im Wahlkampf – sowohl die Golfstaaten als auch EU und USA von außen versuchen werden, auf die Regierungsbildung und die Präsidentenwahl Einfluss zu nehmen. Ein Stillstand wäre die Folge.
Zahlreiche Kommentatoren erhoffen sich von den "Unabhängigen" neuen Schwung im Parlament. Manche Beobachter wollen gar eine "Reformbewegung" ausfindig gemacht haben.
Allerdings handelt es sich bei dieser Gruppe von "Unabhängigen" oder "Zivilgesellschaft" nicht um eine vereinte Kraft, sondern eher um Individualisten, die unterstützt von ausländischen Kräften und verschiedenen libanesischen Parteien ins Parlament einziehen konnten. Sie profitierten am meisten von der Abwesenheit einer geeinten sunnitisch-muslimischen Partei und vom Wunsch der Wähler nach "neuen Gesichtern". Sie vertreten teilweise gegenteilige Meinungen und werden die aktuelle Politik kaum ändern können. Sie laufen Gefahr, sich bei Konflikten der großen Parteien als Erfüllungsgehilfen der einen oder anderen Seite anzubieten.
Ihren Wahlsieg verdanken sie einer hohen Aufmerksamkeit der Medien, die die Sache der "Revolution" und der zivilgesellschaftlichen Akteure seit 2019 über Millionen Mobiltelefone und Facebookseiten verbreitet haben. Sie erhielten viel Unterstützung und Geld aus den arabischen Golfstaaten, aus Europa und den USA. Ihr Wahlkampf konzentrierte sich wie bei den bekannten Hisbollah-Gegnern auf Anti-Hisbollah-Parolen, Warnungen vor wachsendem Einfluss Irans im Libanon und Warnungen vor den "Waffen der Hisbollah", die einer Zivilgesellschaft im Wege seien.
Für die Bevölkerung aber ist und bleibt entscheidend, dass die unerträgliche ökonomische Krise überwunden wird, die sich von Tag zu Tag verschärft. Dieser Aufgabe sind auch die "Unabhängigen" nicht gewachsen. Am Tag nach den Wahlen wurde erneut der Benzinpreis angehoben, der Umtauschkurs für den US-Dollar stieg von 28.000 Libanesischen Pfund (LPD) auf bis zu 31.500 LPD am Mittwoch.
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