Afrika

Niger: Gegenputsch wahrscheinlicher als "nur" eine Invasion

Den jüngst in der nigrischen Hauptstadt Niamey gestürzten Staatschef kann der Westen kaum allein mittels seiner folgsamen Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft im Sahel restituieren. Ein Gegenputsch in Niger seitens westlicher Agenten in der Armee und der im Land präsenten Truppen Frankreichs und der USA müsste schon hinzukommen.
Niger: Gegenputsch wahrscheinlicher als "nur" eine InvasionQuelle: www.globallookpress.com © Robert Schléber

Von Kirill Benediktow

Unlängst fand in Niger ein Militärputsch statt. Am 26. Juli wurde der Präsident Mohamed Bazoum von seiner eigenen Garde festgenommen, und der Kommandeur der Garde, General Abdourahamane Tchiani, erklärte sich zum neuen Staatsoberhaupt des Landes.

Diese Ereignisse haben im Westen große Besorgnis ausgelöst. Niger liegt zwar seit Kolonialzeiten im Einflussbereich Frankreichs, doch auch die US-amerikanischen Interessen in diesem Land sind mittlerweile vielfältig. Seit 2012 haben die USA über 500 Millionen US-Dollar an Militärhilfe für Niger bereitgestellt – gerade für ein Land, das zu den ärmsten Staaten der Welt zählt, ist das eine astronomische Summe. Doch für Washington und den Westen bleibt Niger aus vielen weiteren Gründen wichtig. 

Erstens verfügt das Land über riesige Uranvorkommen – diesbezüglich steht Niger an fünfter Stelle in der Welt. Zweitens gilt Niger als ein wichtiger Partner des Westens in der gesamten Sahelzone südlich der Sahara. Im Jahr 2021 bezeichnete die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, ganz offen Niger als "einen der engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten im Kampf gegen gewalttätigen Extremismus". Und der Sender France 24 machte nach dem Militärputsch auch darauf aufmerksam, dass Niger im Jahre 2022 "zu einer Drehscheibe für Frankreichs Operationen gegen den Dschihadismus geworden" war.

In seiner ersten Ansprache an die Nation begründete der neue Staatschef General Tchiani die Notwendigkeit des Staatsstreichs allerdings bemerkenswerterweise ausgerechnet mit der "sich verschlechternden Sicherheitslage".

Offensichtlich ist die neue Regierung gar nicht damit einverstanden, wie der Westen Niger ausnutzt und die Armee des Landes nur als Kanonenfutter für Auseinandersetzungen mit Dschihadisten betrachtet. 

Niger einzubüßen, können sich die USA und ihre Verbündeten nicht leisten. Denn das könnte eine riesige Lücke mitten in ihrem Sicherheitssystem in Westafrika bewirken, was womöglich sofort von radikalen Islamisten ausgenutzt werden würde.  

Noch beängstigender für den Westen ist jedoch die damit verbundene Stärkung der Position Russlands in der Region. In den westlichen Medien wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Freudendemonstrationen in der nigrischen Hauptstadt Niamey nicht nur französische Fahnen verbrannt, sondern auch russische Fahnen geschwenkt wurden.

Das alles bedeutet wahrscheinlich, dass wir in naher Zukunft mit aktiven Gegenreaktionen zur Unterdrückung des Putsches von Tchiani und zur Wiedereinsetzung des prowestlichen Bazoum in den Präsidentensessel rechnen müssen.   

Höchstwahrscheinlich könnte das durch Kräfte der ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) geschehen. Auf einer eilig einberufenen Dringlichkeitssitzung haben die ECOWAS-Länder beschlossen, Niger fortan zu blockieren und in Erwartung (oder als Vorbereitung) einer möglichen bewaffneten Invasion eine Flugverbotszone über das Mitgliedsland zu verhängen. Der Regierung Tchiani wurde zudem das Ultimatum gestellt, innerhalb einer Woche die Macht an Bazoum zurückzugeben, andernfalls drohe ein Krieg. 

Am Vorabend dieses Treffens von Nachbarländern erklärte Oberst Amadou Abdramane, ein Sprecher der neuen nigrischen Regierung:

"Der Zweck des Treffens besteht darin, einen Plan für eine Aggression gegen Niger durch eine bevorstehende militärische Intervention in Niamey zu billigen, die im Zusammenwirken mit weiteren afrikanischen Ländern außerhalb der ECOWAS und einigen westlichen Ländern erfolgen soll."

Kurioserweise könnte den Westen nun ausgerechnet die großzügige Militärhilfe, die er in Vergangenheit für Niger leistete, nun teuer zu stehen kommen: Die gut ausgerüstete und ausgebildete nigrische Armee ist zu ernstzunehmendem Widerstand gegen die verbündeten Streitkräfte der ECOWAS fähig, die ihrerseits kaum in der Lage sein dürften, eine wirklich geschlossene Front zu bilden. Außerdem ist etwa die ECOWAS-Friedenstruppe ECOMOG für eine Invasion überhaupt nicht geeignet. Letztes Jahr beschloss die ECOWAS die Schaffung dieser regionalen Sicherheitstruppe zur Bekämpfung von Dschihadisten und – welch Ironie des Schicksals – zur Verhinderung von Militärputschen, aber ob seitdem konkrete Schritte unternommen wurden, ist unklar.

Allerdings sollten wir auch die westlichen Militärkontingente im Land nicht vergessen. Frankreich hält dort 1.500 Soldaten und die USA ebenfalls mehr als 1.000 Mann. Das sind ernstzunehmende Kräfte, die den Rebellen im entscheidenden Moment in den Rücken fallen könnten. Auch in der Armee selbst, die nun General Tchiani zu unterstützen scheint, könnten sich Freunde Washingtons finden: Laut angeblichen Äußerungen eines anonymen westlichen Militärs unterhält der General Moussa Salaou Barmou, der die nigrischen Spezialeinheiten leitet, besonders enge Beziehungen zu den USA.

Bislang ist nur eines klar: Washington und Paris werden die Machtergreifung der Tchiani-Regierung nicht akzeptieren und auf jeden Fall versuchen, einen Gegenputsch zu organisieren. Ob dies gelingen wird, ist eine andere Frage.

Übersetzt aus dem Russischen.

Kirill Benediktow ist ein russischer Politologe, Historiker, Schriftsteller und der Autor politischer Biographien von Marine Le Pen und Donald Trump sowie im Bereich der Belletristik im Genre Science Fiction mit mehreren Auszeichnungen geehrt.

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